Herr Ludwig, seit vier Jahren kümmern Sie sich an zentraler Stelle um die Einführung und Weiterentwicklung von Geschäftsprozessmanagement in der Landeshauptstadt München. Was genau ist mit dem Zielbild einer „prozessorientierten Organisation“ im Stadtratsbeschluss aus dem letzten Jahr genau gemeint? Was heißt Prozessorientierung für die Verwaltung?
Vereinfacht gesagt erbringt die LHM ihre Leistungen auf Basis ständig weiterentwickelter Geschäftsprozesse. Für die Erstellung einer Leistung, die auch vom Kunden honoriert wird (vgl. E2E vs. kleinteilige Prozesse, die an Organisationsgrenzen enden), arbeiten oftmals mehrere Organisationseinheiten zusammen. Das ist in einer bisher stark funktionsorientierten Organisation nicht immer einfach zu organisieren. Die Prozessorientierung stärkt also die Ablauf- gegenüber der Aufbauorganisation – für die Verwaltung eine große und tiefgreifende kulturelle Veränderung.
Wie ist Geschäftsprozessmanagement in der LHM organisiert? Wo ist es angesiedelt, von wem wird es verantwortet?
Mit dem Bereich GPM Governance im Personal- und Organisationsreferat (POR) gibt es einen Bereich der zentral die Governance für das Thema GPM in der gesamten Organisation vorgibt. Vorgaben werden, wo möglich und sinnvoll, mit Vertretern der Referate erarbeitet und abgestimmt. In den Referaten gibt es mit den GPAM-Bereichen [2] jeweils Einheiten, die das strategische und operative GPM intern verantworten. Diese dezentralen Einheiten setzen GPM zusammen mit den Fachbereichen um. Das laufende Prozessmanagement findet dann in den Fachbereichen statt, je Prozess gibt es je einen Prozesseigner für die Strategie und einen Prozessverantwortlichen als operativen Manager.
Was Ist Ihre Vision für die Stadt München, wenn GPM flächendeckend einmal eingeführt und verankert ist?
Die Stadt München ist ein serviceorientierter moderner Dienstleister, die auch von Kunden*innen als solcher wahrgenommen wird. Die Form der Leistungserbringung orientiert sich dabei an digitalen Zugangskanälen. Aber nicht nur die Zugangskanäle sind digital, auch im Back-Office und für die Mitarbeiter*innen ist die LHM ein moderner und digitaler Dienstleister, bei dem weniger Hierarchien als mehr die partnerschaftliche Zusammenarbeit in den Prozessen im Vordergrund steht.
Stichwort GPM und Digitalisierung – warum wurden beim initialen Stadtratsbeschluss 2019 beide Themen zusammenbetrachtet?
Sinnvolle Digitalisierung fußt auf optimierten Prozessen bzw. auf solchen, die vom Scope her richtig geschnitten sind, damit das Ergebnis des Prozesses auch die vom Kunden erwartete Leistung trifft. Hier setzt GPM an. Oftmals beginnt der Prozess auch nicht erst, wenn der Kunde aktiv bei der Verwaltung nachfragt, sondern sich z.B. schon online über die Services und wie er diese erhalten kann informiert. GPM hilft dabei den jeweiligen Prozess ganzheitlich zu betrachten und so die richtige Basis für die spätere Digitalisierung zu schaffen.
Wie sind Sie bisher bei der Einführung vorgegangen?
Grob vereinfacht sind wir bei der Einführung in drei Phasen vorgegangen. In den ersten ungefähr 12 bis 18 Monaten haben wir viele zentrale Vorgaben entwickelt und diese in Form eines GPM-Handbuches im Intranet sowie im aktualisierten Modellierungshandbuch festgehalten. Parallel wurde ein Schulungskonzept entwickelt sowie eine Change-Architektur. In der zweiten Phase, etwa ab Ende 2020 haben wir uns stark auf die Umsetzung der Change-Architektur fokussiert und neue Formate entwickelt, um das Thema GPM den Projekten in der LHM, den Führungskräften, Fachbereichen und Veränderungsmanagern bekannt zu machen. Diese Maßnahmen laufen auch jetzt noch weiter, wobei sich die meisten Formate inzwischen etabliert haben, z.B. unsere GPM-Themencafés.
Seit 2022 versuchen wir, nicht mehr nur GPM einzuführen, sondern im Sinne des 2022er Stadtratsbeschlusses die LHM in Richtung einer prozessorientierten Organisation weiterzuentwickeln. Dafür rücken Aspekte wie Kulturentwicklung, Governance – d.h. auch Zielvorgaben und stadtweites GPM-Controlling – sowie die Entwicklung und Stärkung von Netzwerken mehr in den Vordergrund.
Auf welche zentralen Herausforderungen sind Sie bei der GPM-Einführung in den letzten Jahren gestoßen? Mit welchen haben Sie gerechnet und welche waren eher unerwartet?
Die Transformation der LHM hin zu einer prozessorientierten Organisation ist eine sehr große kulturelle Herausforderung für die Organisation. Dies war erwartbar. Nicht erwartbar war die teils verhaltene Unterstützung der oberen und obersten Führungsebene in den Referaten zu GPM. Diesen wichtigen Stakeholdern den Nutzen und Mehrwert von GPM näherzubringen, ist eine große Herausforderung.
Welche Auswirkungen hat die Einführung von Prozessmanagement auf die Organisationsstruktur und die Kommunikation in der LHM?
Derzeit sind organisatorische Anpassungen aufgrund der GPM-Einführung noch selten. Eine Anpassung der Organisation ist auch keine zwingende Notwendigkeit für die erfolgreiche GPM-Einführung. Mittelfristig sollte die Aufbauorganisation die Ablauforganisation aber bestmöglich unterstützen. Die direkte Kommunikation zwischen „ausführenden Rollen“ und Prozessverantwortlichen – in beide Richtungen – ist eine große Neuerung in der Organisation, welche durch GPM-Einführung und die hierfür erstellten organisatorischen Vorgaben etabliert wurde.
Wie unterscheidet sich die Einführung von GPM in der kommunalen Verwaltung von vergleichbaren Projekten in der Privatwirtschaft?
In der Privatwirtschaft wird GPM regelmäßig zur Kosteneinsparung eingeführt. In der LHM ist dies kein primäres Ziel. Zwar spielt Effizienzsteigerung auch eine Rolle, aber eher dahingehend, dass die Verwaltung ihre Aufgaben auch künftig mit gleich vielen bzw. sogar weniger MA stemmen muss, schon aufgrund des demographischen Wandels. Zukünftig besteht die große Herausforderung darin, offene Stellen überhaupt mit Personal besetzen zu können; dafür braucht es attraktive Arbeitsplätze – hier leistet GPM einen wertvollen Beitrag.
Ein weiterer Unterschied ist der hohe Grad an dezentraler Eigenständigkeit der Referate – bedingt durch das „neue Steuerungsmodell“: Hier wurden den Referaten teils umfangreiche Freiheiten wie die dezentrale Ressourcenverantwortung eingeräumt. Dies ist am ehesten mit einer Konzernstruktur zu vergleichen, in der zentrale Vorgaben auch nicht immer auf Begeisterung bei den Konzerntöchtern treffen.
Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur beim Wandel hin zu einer prozessorientierten Organisation?
Verwaltungen sind per se eher funktionsorientierte Organisationen. Vor allen Dingen langjährige Mitarbeiter*innen sind auf Beständigkeit, klare Strukturen und hierarchische Sichtweisen sozialisiert.