Produktentwicklung
Smarte Produkte

Intelligente Produkte brauchen interdisziplinäres Arbeiten

Um analoge Produkte smart zu machen, braucht es mehr als nur Technologie – zum Beispiel eine lösungsorientierte Kultur, Interdisziplinarität und Entscheidungen auf Expertenlevel. Ein Beitrag über die richtigen Weichenstellungen für einen dauerhaften Markterfolg. (Erschienen im Magazin changement, Ausgabe 5 Juli/August)

Was smarte Produkte ausmacht

Unter smarten Produkten versteht man intelligente Produkte und Komponenten, die Informationen zur eigenen Herstellung und Nutzung sammeln, diese kommunizieren und so neue Funktionalitäten und Services ermöglichen. Man denke nur an Connected Car oder autonome Fahrsysteme. Das ursprüngliche Produkt wird um Facetten wie Sensorik, Kommunikationseinheiten und Apps erweitert. In einem mehrstufigen Evolutionsprozess kann es sich zum intelligenten und vernetzten Produkt entwickeln. Vielleicht wird es sogar zu einem Produktsystem, das mehrere Produkte gleicher Art untereinander vernetzt, um im Beispiel der Autos einen optimierten Verkehrsfluss zu gewährleisten oder Carsharing zu ermöglichen (siehe Abbildung).

Wird darüber hinaus die Verfügbarkeit unterschiedlicher Verkehrsmittel über eine Plattform koordiniert, wie es heute in der Logistik für den optimierten Warenfluss angestrebt wird, bewegt man sich im hochkomplexen Umfeld des „System of Systems“. Ein Hersteller kann sein Produkt auf diesem Wege in einen Systemverbund einbetten und neue Märkte erschließen.

Allerdings muss nicht jedes Produkt diesen Evolutionsprozess vollumfänglich durchlaufen. Es kann sinnvoll erscheinen, lediglich einen großen Funktionshub zu realisieren. Dafür kann im Extremfall eine Neuentwicklung des Produkts notwendig werden. Ein Beispiel hierfür ist ein gestengesteuertes Schließsystem, bei dem nur das eigentliche Schließsystem als Produktkern bestehen bleibt, der Rest des ursprünglichen Produkts aber durch Elektronik und Software ersetzt wird.

Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass das Internet der Dinge in vielen Branchen bereits in der Realität angekommen ist. Zudem verdeutlicht es, wie Produkte durch den Einsatz von Elektronik und Software verändert werden. Mit steigender Produktkomplexität wird interdisziplinäres Arbeiten zum Erfolgsfaktor. Die anziehende Entwicklungsgeschwindigkeit bei neuen Technologien und die sich permanent wandelnden Kundenbedürfnisse sorgen für wachsende Dynamik. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, mit welchen Produkten auf welcher Evolutionsstufe sie künftig wirtschaftlich erfolgreich sein können.

Smarte Evolution

Treiber des Wandels: das Produktmanagement

Eine wichtige Rolle bei der Planung und Weiterentwicklung von Produkten kommt dem Produktmanagement zu. Um Fehlplanung zu vermeiden, fokussiert es sich konsequent auf Produkteigenschaften, die für den Markt wesentlich sind. Bei der Planung der Produktreleases muss der ständige Wandel der Kundenanforderungen berücksichtigt werden – und das über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Nur dann lässt sich ein schneller, effizienter Weg zum Zielprodukt gewährleisten.

Dass hier erheblicher Nachholbedarf besteht, legt eine Studie der Hochschule Karlsruhe und des Steinbeis-Transferzentrums aus dem Jahr 2019 nahe. Demnach haben 61 Prozent der befragten Unternehmen ihr Produktportfolio um smarte Produkteigenschaften erweitert, aber 71 Prozent davon sind nach eigenen Angaben nur unzureichend auf die steigende Produkt- und Produktionskomplexität vorbereitet, und mehr als 75 Prozent der Unternehmen verfügen nicht über einen durchgängig definierten Produktkonfigurations- und -realisierungsprozess. Dabei ist gerade die Schaffung einer End-to-End-Prozesslandschaft entlang des Produktlebenszyklus eine wesentliche Voraussetzung dafür, auf die wechselnden Anforderungen des Marktes reagieren zu können. Zudem hilft eine durchgängige Prozesslandschaft, die wachsende Produktkomplexität in den Griff zu bekommen.

Dimensionen einer durchgängigen Prozesslandschaft

Die Durchgängigkeit der Prozesslandschaft muss entlang dreier Achsen gewährleistet sein. Zum einen wirkt auf die Produktkomplexität die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ingenieuren für das physikalische Produkt und den Hard- und Softwareentwicklern über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Die drei Disziplinen weisen stark unterschiedliche Längen des Entwicklungszyklus auf. So ist der Entwicklungszeitraum eines Softwarereleases sehr viel kürzer als der für physische Produkte und Hardware. Zudem erfordern letztgenannte nicht so häufig ein Reengineering, da viele Funktionen via Software abbildbar sind.

Legt man die Prämisse zugrunde, dass smarte Produkte vom Kundennutzen über die Software konzipiert werden sollten, ermöglicht dies bei der Hardware die Realisierung von Puffern. So kann im Produkt verwendete Software beispielsweise „over the air“ aktualisiert werden, was die Lebensdauer der Hardware verlängert. Aus den genannten Gründen sollten die Lebenszyklen der unterschiedlichen Produktbestandteile zwar nicht aneinander angeglichen, jedoch aufeinander abgestimmt werden.

Eine Reorganisation kann notwendig sein

Außerdem muss eine Zuweisung von Ressortverantwortlichkeiten für bestimmte Phasen und Aufgaben erfolgen, um die Erbringung der notwendigen Ergebnisse sicherzustellen. Insbesondere in Fällen, in denen ein bestehendes Produkt um smarte Komponenten erweitert wird, kann dafür eine Reorganisation des Unternehmens notwendig werden. Möglicherweise muss die Organisationsstruktur sogar um neue Einheiten wie zum Beispiel Softwareentwicklung, Maintenance oder Software-Service erweitert werden. Bei der Reorganisation sind zwei Prämissen anzulegen: Die Organisation sollte vom Kunden her gedacht werden, um ein optimales Kundenerlebnis zu gewährleisten; darüber hinaus sollte sie schnelles Entscheiden möglich machen, wozu die Realisierung flacher Hierarchien hilfreich wäre.

Doch schnelle Entscheidungen funktionieren nur, wenn im Unternehmen die Bereitschaft besteht, sie vertrauensvoll weitgehend in die Hände von Experten zu legen. Denn Produktkomplexität und rascher technischer Wandel lassen valide Entscheidungen oft nur noch auf dieser Ebene zu. Die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ist dann unverzichtbar.
Verstärkt wird dieser Effekt durch eine bessere Verzahnung der Disziplinen untereinander, sprich Interdisziplinarität. Ziel muss es sein, eine von gegenseitigem Respekt geprägte Koexistenz zu gewährleisten. Auch dies erleichtert die Entscheidungsfindung. Ein wesentliches Problem bei diesem Zusammenhang besteht oft darin, dass eine Disziplin die Probleme einer anderen nur bedingt nachvollziehen kann. Diesem Problem der klassisch organisierten Produktentwicklung, in der Organisationseinheiten klar voneinander getrennt sind, kann man begegnen, indem man ihre direkte Zusammenarbeit sicherstellt. Sinnvoller ist hier eine querschnittliche und funktionsbezogene Organisation der Produktentwicklung oder die Schaffung von Transferteams, die als Mittler zwischen den Welten agieren. Durch intensivere Kooperation steigt das Verständnis für die Probleme anderer Disziplinen und damit die Akzeptanz des Gegenübers.

Eine fehlerverzeihende Kultur

Da sich durch die hohe Veränderungsdynamik bei Anforderungen und Technologien immer neue Themen ergeben und auch jüngere Mitarbeiter erst zu Experten reifen müssen, ist eine fehlerverzeihende Kultur essenziell, um bei der Ausbildung neuer Fähigkeiten im Unternehmen schnelle Fortschritte zu erzielen. Nur wer sich in einer angstfreien Umgebung ausprobieren darf, lernt schnell.

Unterstützt wird dieser Effekt durch die Verankerung lösungsorientierten Handelns als ein Grundprinzip, das den Kundennutzen ins Zentrum rückt. Anstatt sich an möglichen Problemen festzuhalten, zielt die Betrachtung der konkreten Kundenanforderung auf die Gestaltung des größten Kundennutzens. Dabei ist die Lösungsorientierung ein klares Kriterium bei der zielgerichteten Auswahl des optimalen Lösungsansatzes.

Eine fehlerverzeihende Kultur ist essenziell. Nur wer sich in einer angstfreien Umgebung ausprobieren darf, lernt schnell.

Eva Sybille Zepke, Management Consultant
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