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Veränderungsmanagement als integraler Bestandteil der Softwareentwicklung

Eine Softwarelösung kann hinsichtlich ihrer technischen Qualität und Passgenauigkeit zu den Anforderungen noch so gut sein - sie ist wertlos, wenn sie keine positive Wirkung in ihrem Einsatzfeld erzielen kann. Für die Erzielung dieser positiven Wirkung ist die Akzeptanz seitens der Softwarenutzenden unabdingbar und deshalb sollte die Schaffung von Akzeptanz integraler Bestandteil einer jeden Softwareentwicklung sein. In diesem Artikel erklären wir, auf welche Art und Weise dafür Methoden des Veränderungsmanagements in ein agiles Softwareentwicklungsvorgehen integriert werden können. Als Beleg für die Wirksamkeit des Vorgehens wird ein Praxisprojekt angeführt, in welchem das Vorgehen funktioniert hat.

Was ist agile Softwareentwicklung?

Die Essenz agiler Softwareentwicklung ist ein inkrementelles Entwicklungsvorgehen. Dieser Aspekt unterscheidet die agile Softwareentwicklung von klassischen Ansätzen. In einem klassischen Vorgehensmodell werden fest definierte Phasen wie beispielsweise Anforderungserhebung, Entwurf, Implementierung und Test genau einmal durchlaufen. Die Phasen folgen einander hierbei sequenziell und erst nach vollständigem Abschluss einer vorhergehenden Phase kann die nächste begonnen werden. In agilen Vorgehensweisen dagegen werden diese aufeinander folgenden Phasen mehrfach hintereinander durchlaufen und die Ergebnisse der einzelnen Phasen inkrementell verfeinert. Dabei können sich einzelne Phasen durchaus überschneiden und sind weit weniger klar voneinander abgesteckt. Anders als in klassischen Vorgehensmodellen muss für einen Phasenübergang die vorherige Phase nicht vollumfänglich abgeschlossen worden sein.

Über die Gemeinsamkeit des inkrementellen Vorgehens hinaus unterscheiden sich agile Vorgehensmodelle lediglich in den Details. So definieren manche Vorgehensmodelle bestimmte Rahmenbedingungen wie Rollen, Regeltermine und Zeiträume für die Erarbeitung eines Inkrements. Andere Modelle wiederum lassen derartige Details offen. Einige Modelle sind für den Einsatz in einzelnen Entwicklungsteams gedacht, andere hingegen für große Organisationen.

Was ist Veränderungsmanagement?

Veränderungsmanagement bedeutet, Veränderungsprozesse in Organisationen ganzheitlich und kontinuierlich zu gestalten, zu realisieren, zu reflektieren und zu verankern. Im Kern geht es um die Gestaltung des Übergangs von einem unbefriedigenden Ausgangszustand zu einem angestrebten Zielzustand (Transition). Dieser Zielzustand kann sich entsprechend der äußeren wie inneren Einflüsse im Laufe der Veränderung wandeln. Vor allem aber liegt der Fokus auf der Begleitung der Menschen durch ihre individuellen Lernprozesse (Transformation).

Mitarbeitende sind für Organisationen die wichtigste Stellschraube und ihr Commitment gegenüber einer Veränderung ist zur erfolgreichen Bewältigung dieser essenziell. Dementsprechend ist einer der wichtigsten Bestandteile des Veränderungsmanagements, das Verhalten der Menschen zu verstehen und sie durch die Phasen der Veränderung zu geleiten. Um diese zielgerichtete Begleitung zu gewährleisten, ist es wichtig, sowohl die Menschen als auch die Strukturen und Prozesse der die Menschen umgebenden Organisation zu kennen. Im Zuge des Veränderungsmanagements können verschiedene Modelle wie das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin, das 8-Stufen-Modell von John P. Kotter oder das Prosci ADKAR Modell zum Einsatz kommen.

Ein populäres Modell, welches häufig in der Praxis zur Anwendung kommt, ist das Prosci ADKAR Modell. Hierbei stehen die Akronyme für folgende Begriffe:

  • A: Awareness (Bewusstsein)
  • D: Desire (Wunsch)
  • K: Knowledge (Wissen)
  • A: Ability (Fähigkeit)
  • R: Reinforcement (Verankerung)

Dem ADKAR Modell liegt die Annahme zugrunde, dass Menschen in einer Veränderungssituation unterschiedliche Phasen durchlaufen. Sobald alle fünf Phasen erfolgreich durchlaufen worden sind, ist die Veränderung als abgeschlossen zu betrachten.

Das Modell zeigt für die fünf Phasen Aktivitäten und Ziele auf, welche bei einer Veränderung wirkungsvoll sind und ist insbesondere für die Bewältigung von in der Praxis auftretenden Situationen im Kontext einer laufenden Transition geeignet. Die Einordnung des eigenen Veränderungsvorhabens in eine der fünf Phasen erlaubt eine zielgerichtete Herleitung geeigneter Methoden, welche zur Erreichung des jeweiligen Ziels der Phase zweckdienlich sind. So könnte beispielsweise die Kommunikation der Veränderung über einen Newsletter dazu beitragen, ein erstes Bewusstsein (Phase A) für die angestrebte Veränderung (beispielsweise eine Softwareeinführung) zu schaffen. Zusätzlich kann die Kommunikation über einen Newsletter den Wunsch (Phase D) erzeugen, mehr über diese Veränderung zu erfahren. Zugleich wäre ein Newsletter häufig keine geeignete Methode, um eine Verankerung (Phase R) in der Organisation und bei den Menschen zu erreichen.

Wie lassen sich agile Softwareentwicklung und Veränderungsmanagement kombinieren?

Da eine agile Entwicklung – insbesondere wenn sie an dem populären Framework Scrum angelehnt ist – aus mehreren Iterationen besteht, können diese Iterationen unterschiedlichen Phasen eines Modells wie z. B. ADKAR zugeordnet werden. Umfasst die Entwicklung einer neuen Software voraussichtlich 50 Iterationen, so könnten beispielsweise Iteration 1-10 der Phase A (Bewusstsein), 11-20 der Phase D (Wunsch), 21-30 der Phase K (Wissen), 31-40 der Phase A (Fähigkeit) und 41-50 der Phase R (Verankerung) zugeordnet werden. Hierdurch ergeben sich neben der Realisierung des schrittweisen Funktionsaufwuchses der Software für jede Iteration konkrete Ziele hinsichtlich des Veränderungsmanagements. In der Iteration 4 sollte beispielsweise die Kommunikation gegenüber den Nutzenden insbesondere auf das Schaffen eines Bewusstseins hinsichtlich der Existenz der neuen Lösung ausgerichtet sein. In der Iteration 43 hingegen sollten die Nutzenden die optimalerweise bereits im Einsatz befindliche Software gut kennen und die Kommunikation fokussiert insbesondere die noch tiefere Verankerung der bereits angenommenen Software.

Ausgehend von dieser Planung können zusätzlich Kenngrößen definiert werden, anhand derer beispielsweise nach der 10. Iteration ermittelt werden kann, ob eine Phase wie geplant durchlaufen wurde.

Beispielprojekt: Individualentwicklung im öffentlichen Sektor

In dem Projekt wurde über mehrere Jahre eine Individualsoftware nach einem agilen Vorgehensmodell entwickelt. Dabei waren zwei Entwicklungsteams und eine große Anzahl von unterstützenden Teamkollegen und -kolleginnen für die Anforderungsanalyse und das Projektmanagement im Einsatz. Die Individualsoftware hat eine Erhöhung der Effizienz in einer Vielzahl der Arbeitsabläufe sowie eine Reduktion von bestehenden Systembrüchen zum Ziel. Zur Entfaltung einer positiven Wirkung im Einsatzfeld der Software, war die Schaffung einer Akzeptanz seitens der Nutzenden die Grundvoraussetzung.

Das Vorgehensmodell bestand aus zwei-wöchigen Sprints und halbjährlichen Releases, in denen eine neue Software-Version inklusive neuer Funktionalitäten veröffentlicht wird. Je nach Umfang hat das neue Release Auswirkungen auf die Arbeitsrealität der Nutzenden. Die Relevanz der neu hinzugekommenen Funktionalitäten für die jeweilige Nutzendengruppe wirkt sich entsprechend auf die Auswahl der Kommunikationsmaßnahmen aus.

Als Basis für das Veränderungsmanagements wurde das ADKAR Modell genutzt. Die Phasen dieses Modells wurden den verschiedenen Releases als eine Ansammlung von Sprints zugeordnet. Ein Release besteht aus unterschiedlichen Funktionalitäten. Einzelne dieser Funktionalitäten stellen aus Perspektive des Nutzenden entweder einen Aufwuchs einer bestehenden Funktion oder eine neue Funktion dar. Dementsprechend können im Zuge eines Releases für verschiedene Funktionalitäten unterschiedliche Phasen des ADKAR Modells zur selben Zeit durchlaufen werden. Das heißt, dass einerseits die bereits angestoßenen Veränderungen in den Köpfen der Nutzenden hinsichtlich des vorherigen Releases weitergetrieben werden mussten. Andererseits musste bei den Nutzenden ein Bewusstsein (Phase A) hinsichtlich der neuen Funktionalitäten geschaffen werden.

Nach der Zuordnung einzelner Iterationen zu unterschiedlichen Phasen des ADKAR Modells wurde losgelöst von den einzelnen Releases ein Brainstorming im Kreis des Teams dahingehend durchgeführt, welche zur Verfügung stehenden Methoden und Kommunikationswege sich für welche Phase des ADKAR Modells besonders eignen. Hierbei wurden neben konventionellen ebenso unkonventionelle Ideen betrachtet. Abgerundet wurden die Überlegungen durch die Entwicklung von Kennzahlen, mit denen sich der Erfolg der einzelnen Methoden hinsichtlich ihrer Zielerreichung im Nachgang ermitteln lässt. Beispiele für solche Methoden sind das Abhalten eines Lean Coffees, Führen von Interviews mit Vorbildern innerhalb der Organisation sowie regelmäßige Review-Schleifen mit Nutzenden.

Das entwickelte Vorgehen bedurfte im Laufe seiner Anwendung einige Anpassungen hinsichtlich der Auswahl der Methoden. Das Grundkonzept und damit die Kombination der agilen Softwareentwicklung mit dem Veränderungsmanagement nach dem ADKAR Modell blieb allerdings in der ursprünglichen Form erhalten und hat sich bewährt.

Artikel von:
Jennifer Hoyer
Jennifer Hoyer
Senior Consultant
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