Der nachhaltige Widerspruch
Nachhaltigkeit widerspricht dem Prinzip der Gewinnmaximierung. Eigentlich. Sie kann sich sogar ins Gegenteil verkehren: Nachhaltigkeit schafft an anderer Stelle wieder Nicht-Nachhaltigkeit. Das nennt man dann Rebound-Effekt. Was wir tun können? Suffizient werden. Doch das wäre eine Revolution.
Den ersten Apple hat er selbst zusammengefrickelt und gelötet. Die Bauteile hatte er von überall her. Daran mag sich Steve Wozniak erinnert haben, als er sich im Juli auf der Video-Plattform Cameo meldete und für ein Recht auf Reparatur für alle Apple-Geräte stark machte. Ohne eine offene technologische Welt wäre Apple nie zum heutigen Großkonzern geworden, so der Mitbegründer.
Konzernmacht vs. Nachhaltigkeit
Wozniaks Open-Source-Plädoyer muss Firmenchef Tim Cook ziemlich verärgert haben. Denn der fährt gerade einen harten Kurs gegen die „Right to Repair“-Bewegung. Die fordert schon seit Jahren ein Recht auf Do-it-Yourself und prozessiert jetzt dafür gegen den Tech-Giganten. Ihre nachhaltigen Argumente, man könne durch das freie Reparaturrecht die smarten Produkte langlebiger machen und Unmengen an Elektroschrott vermeiden, sind dem Apple-Boss dabei ziemlich piepe.
Stattdessen verweist er auf den Patentschutz und gibt Millionen für Lobbyarbeit und Anwälte aus, um seine defekten Devices in einer juristischen Abwehrschlacht im eigenen Reparatur-Ökosystem zu halten.
Denn es geht um Geld, viel Geld. Milliarden verdient Apple mit seinen Reparaturservices. Beispiele gefällig? Stolze 69 Euro kostet ein simpler Akkutausch zurzeit im Apple Store oder bei einem Lizenzpartner. Für ein neues Display können schon mal 361 Euro anfallen. Umsätze, die der Konzern lieber für sich behalten möchte. Gewinnmaximierung schlägt Nachhaltigkeit.
Moral vs. Shareholder Value
Und es ist ja nicht nur Apple. Der VW-Skandal um vermeintlich saubere Dieselwerte hat aller Welt vor Augen geführt, wie weit Unternehmen für den Shareholder Value gehen können – nämlich bis hin zum Betrug.
Und wer erinnert sich nicht an Nestlè? Als 2018 bekannt wurde, dass der Schweizer Konzern den Menschen im ohnehin dürregeplagten Südafrika das Grundwasser abpumpt, um daraus teures Tafelwasser zu gewinnen, war der Medienaufschrei groß – genauso wie der Imageschaden.
Die Aktionäre hingegen jubelten. Nestlé Waters steigerte in jenem Jahr den Umsatz bei Wasserprodukten um 2,8% auf rund 6,8 Mrd. Euro. Maßgeblich dafür waren Preiserhöhungen – auch für Tafelwasser aus Südafrika.
Beispiele, die zeigen: Mit nachhaltigen grünen Ambitionen und hehren ethischen CSR-Richtlinien ist es nicht immer so weit gediehen, wenn es um den eigenen Aktienwert geht.
Wir alle sind nachhaltig. Tatsächlich?
Zumindest scheint ein Bewusstseinswandel einzutreten – wenn man der IAB-Studie glaubt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat knapp 16.000 Unternehmen repräsentativ befragt: „Wie wichtig sind ökologische Nachhaltigkeit und Umweltschutz in Ihrer Geschäftstätigkeit?“ Das Ergebnis wurde 2019 veröffentlicht. (1)
Für mehr als die Hälfte (53 %) der Unternehmen ist Nachhaltigkeit demnach ein bedeutsames Thema. Weniger als 30% sahen es als eher weniger wichtig an. Das kann man als ermutigendes Signal interpretieren. Einerseits.
Andererseits kann zwischen wohlgemeinten Worten und ernstgemeinten Taten eine gewaltige Lücke klaffen.
Alles Psychologie: das Attitude-Behaviour-Gap
Für die Kluft zwischen einer prinzipiell guten Einstellung und dem konkreten Handeln kennt die Psychologie einen Namen: das Attitude-Behaviour-Gap. Und mit dem hat Zalando Bekanntschaft gemacht.
Der Online-Fashion-Anbieter wollte sein Sortiment auf mehr Nachhaltigkeit umstellen. Im Kern eine gute Idee – zumal ethische Mode auch höhere Margen verspricht. Um zu erfahren, wie groß der nachhaltige Markt ist, führte der Digitalkonzern eine Konsumentenbefragung durch. Die Ergebnisse wurden im Frühjahr im „It takes two“-Report publiziert (2) – und sind ernüchternd.
Komplexität schreckt ab
Zwar fände es die große Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher (60%) gut, wenn Zalando auf nachhaltige Produkte setzen und darauf transparenter hinweisen würde. Aber wenn’s zum Schwur kommt, dem konkreten Kaufakt, informieren sich nur 20 % über Nachhaltigkeit, offenbarte der Zalando-Report.
Woran liegt’s? Auch hier liefert die Psychologie den Grund. Wer einkauft, wägt bewusst oder unbewusst ab: Je höher der Aufwand oder Preis, umso unwahrscheinlicher, dass man die umweltfreundliche Alternative wählt.
Oder anders ausgedrückt: Grün, Bio oder ethisch einwandfreie Produkte – fast jeder kann sofort unterschreiben, dass das besser ist (vielleicht sogar fürs eigene Gewissen). Aber bitte, das Ganze darf jetzt nicht zu komplex sein und sollte möglichst günstig zu haben sein.
Nachhaltigkeit kann anstrengend sein
Was für Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher gilt, trifft genauso auf Unternehmen zu. Vielfach existiert auch bei ihnen ein Attitude-Behaviour-Gap. Denn natürlich: Es ist komplex, von einem klassischen auf ein nachhaltiges Geschäftsmodell umzustellen – zumal, wenn man das alte über Jahre oder Jahrzehnte verfolgt hat. Und ja, ein solcher Wandel geht nicht von heute auf morgen, schon gar nicht zum Discount-Preis.
Vielmehr geht es darum, sich tiefgreifend mit seiner bisherigen Strategie, seinen Prozessen, Lieferantenbeziehungen und seiner Produktpolitik auseinanderzusetzen: Nachhaltigkeit ist ein universeller Change – und kann deshalb ganz schön anstrengend sein.
Digitalstrategie: Vorsicht vor dem Rebound-Effekt
Eine der zentralen Transformationen in puncto Nachhaltigkeit ist der Schritt hin zu größtmöglicher Transparenz: Seine Lieferkette nachvollziehbar zu machen, seine Energiebilanz überprüfbar offenzulegen oder seinen absoluten CO2-Fingerprint messbar zu machen – ohne eine nachhaltige Digitalstrategie, die ein entsprechendes Monitoring ermöglicht, wird das kaum funktionieren.
Daten, ihre Erfassung und Auswertung entlang der Supply Chain – am besten im Rahmen einer nachhaltigen Circular Economy –, bilden die Grundlage für ein grüneres Wirtschaften. So weiß man, was man tut – und besser machen kann.
Doch Vorsicht: Digitalisierung kann wiederum zu mehr Energieverbrauch und damit zum sogenannten Rebound-Effekt führen, also erreichte Nachhaltigkeitseffekte auffressen – was kompensiert werden muss. Dies gilt es, in der Gesamtrechnung mit einzukalkulieren.
Intelligenter wirtschaften: Effizienz und Konsistenz
Wer es mit dem Wandel zum nachhaltigen Unternehmen ernst meint, dem stehen drei strategische Wege offen. Sie können Übergänge haben, nebeneinander oder zusammen wirken.
1. Effizienz oder: Produziere besser.
Das Ziel ist eine ergiebigere Nutzung von Rohstoffen und Ressourcen, häufig auf Basis technischer Innovation. Beispiel: Ein Unternehmen nutzt aufgewärmtes Kühlwasser aus seinen Produktionsprozessen, um eine Fabrikhalle zu beheizen.
2. Konsistenz oder: Produziere anders.
Bei diesem Prinzip werden gezielt erneuerbare Energien, alternative Technologien und Stoffe verwendet, die besser für die Natur und Umwelt sind. Zugleich steht dahinter der Anspruch, Kreisläufe zu schließen. Beispiel: Mehrwegflaschen statt Tetra Paks.
Radikal weiterdenken: das Prinzip der Suffizienz
Effizienz und Konsistenz bergen aber immer noch die Gefahr des Rebound-Effekts. Deshalb reicht das dritte Prinzip entschieden weiter.
3. Suffizienz oder: Produziere weniger.
Suffizienz ist die radikalste aller Nachhaltigkeitsstrategien. Denn sie strebt einen grundsätzlich geringeren Verbrauch von Ressourcen wie Energie und Material an, indem weniger konsumiert und weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen werden. Beispiel: Teilen statt Besitzen. Car Sharing ist so ein suffizientes Geschäftsmodell.
Die Auflösung des nachhaltigen Widerspruchs
Das Suffizienz-Prinzip zeigt zugleich, dass der Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Nachhaltigkeit und Gewinnstreben, durchaus gelöst werden kann, ja sogar zum geschäftlichen Wachstum beitragen kann – durch komplett neu gedachte Businessideen. Zumindest aber führt die konsequente Verbindung der beiden Nachhaltigkeitsprinzipien der Effizienz und Konsistenz einen gehörigen Schritt weiter.
Wohin das alles führt
Nun sind wir lang noch nicht so weit, dass Apple ein Sharing-Modell für iPhones aufzieht – und wir wollen nicht verschweigen, dass Apple, Samsung & Co. an anderer Stelle viel für ihre Ökobilanz tun.
Denn sein unternehmerisches Attitude-Behaviour-Gap zu schießen, vom Wort zur Tat zu schreiten und nachhaltige Strategien ernsthaft zu verwirklichen, ist allemal lohnend.
Dafür heißt es auch, Verbraucherinnen und Verbraucher genau zu beobachten, um daraus kluge Rückschlüsse zu ziehen. Wie Zalando: Nach dem „It takes two“-Report hat Zalando nach neuen Wegen gesucht, Konsumenten durch nachhaltig einfache Offerings zu überzeugen.
Eine der Ideen ist erst ein paar Wochen alt: Ab sofort können Menschen einen eigenen Reparaturservices für ihre Kleider nutzen. Dafür arbeitet Zalando mit dem englischen Tech-Startup „Save your Wardrobe“ zusammen.
Apropos Reparaturservice: In einer richtungsweisenden Abstimmung hat sich das EU-Parlament im November 2020 für einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft ausgesprochen und damit die Grundlage für ein EU-weites Recht auf Reparatur und längere Haltbarkeit von Produkten gelegt. Ein Teilerfolg für die „Right to Repair“-Bewegung – ganz im Sinne von Steve Wozniak.
Die Zeit spielt für nachhaltig aufgestellte Unternehmen. Besser aber, man beeilt sich. Auch wenn es anstrengend ist.
Quellen
(1) http://doku.iab.de/forschungsbericht/2019/fb0819.pdf
(2) https://corporate.zalando.com/sites/default/files/media-download/Zalando_SE_2021_Attitude-Behavior_Gap_Report_DE.pdf
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