nachhaltigere IT in der deutschen Verwaltung
Die Umweltpolitische Digitalagenda mit Leben füllen

Strategische Empfehlungen für eine nachhaltigere IT in der deutschen Verwaltung

Mit der Umweltpolitischen Digitalagenda von 2019 wollte die große Koalition (Kabinett Merkel IV) den sozialökologischen Umbau der deutschen Gesellschaft einläuten. Eine wesentliche Säule der Agenda ist das Zukunftsprogramm Umweltgerechte Digitalisierung, welches bisherige Gesetzgebungslücken schließen und dadurch Hard- und Softwareprodukte langlebiger machen soll. Des Weiteren soll u. a. über Rechenzentrums-Register der Energieverbrauch gezielter überwacht und reduziert werden. Die Agenda adressiert Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung. Letztere sollte im Sinne eines positiven Beispielgebers vorangehen.

Schaut man jedoch in den Maschinenraum der Verwaltung, häufen sich die Indizien, dass Nachhaltigkeit (noch) nicht flächendeckend in den großen IT-Programmen und Projekten mitgedacht wird. Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Anke Domscheit-Berg offenbart, dass lediglich eines der bundeseigenen Rechenzentren das in der Digitalagenda prominent beworbene Umweltzertifikat Blauer Engel (vgl. Infokasten unten) trägt. Aus unseren eigenen Erfahrungen können wir bestätigen, dass Anforderungen an Nachhaltigkeit der eingesetzten Lösungen derzeit noch eine untergeordnete Rolle in den IT-projekten der öffentlichen Verwaltung spielen. Nicht selten werden sie aufgrund des Umsetzungsdruckes depriorisiert.

Das ist schade, sind doch durchaus heute schon Maßnahmen greifbar, die sich in der Programm- und Projektrealität umsetzen ließen. Im folgenden Artikel möchten wir herausarbeiten, warum IT bei Nachhaltigkeitsbetrachtungen eine immer größere Rolle spielt. Des Weiteren möchten wir strategische Maßnahmen aufzeigen, die die Verwaltung unterstützen, als Positivbeispiel voranzugehen und als Change Agent zu wirken.

Was ist der blaue Engel?

Der Blaue Engel ist ein in Deutschland seit 1978 durch das Bundesumweltministerium vergebenes Umweltzeichen für besonders umweltschonende Produkte und Dienstleistungen. Für jede der 120 Produktgruppen gibt es bestimmte Kriterien, welche alle drei bis vier Jahre vom Umweltbundesamt überprüft werden. Im Mittelpunkt der Beurteilung steht die Frage, wie die Produkte Klima, Böden, Wasser, Luft und Ressourcen belasten. Eine Jury, in der unter anderem Umwelt- und Verbraucherverbände, Handel, Handwerk, Wissenschaftler und Bundesländer vertreten sind, vergibt das Zeichen.

Was ist die IT-Konsolidierung Bund?

Die IT des Bundes wird bis zum Jahr 2025 gebündelt und standardisiert, damit die Bundesverwaltung wirtschaftlicher und sicherer agieren kann. In den beiden Programmsträngen Dienstekonsolidierung und Betriebskonsolidierung werden zum einen die Fachverfahrenslandschaft der Bundesverwaltung (Dienste) als auch zum anderen der IT-Betrieb modernisiert und konsolidiert. Damit leistet die IT-Konsolidierung einen bedeutenden Beitrag für eine zukunftsfähige deutsche Bundesverwaltung

Der Energieverbrauch von IT wächst in großen Schritten

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat die IT-Technologie große Effizienzsprünge gemacht. Stand in den 1990ern noch unter jedem Schreibtisch ein Tower, setzen sich mehr und mehr energiesparende ThinClients und Notebooks am „Frontend“ durch. Auch im „Backend“ hat sich die Rechenkapazität im Verhältnis zum Energiehunger vervielfacht. „So what? Dann haben wir doch kein Problem.“ könnte man meinen. Das ist leider nicht richtig: Durch den stetig wachsenden Bedarf an IT-Kapazitäten werden die bisherigen Effizienzgewinne mehr als überkompensiert und der Beitrag der IT zu globalen CO2-Emmissionen wächst stetig. Folgende Fakten unterstreichen diese Entwicklung:

  • Die Emissionen der weltweiten Digitalwirtschaft bis 2025 machen womöglich sogar 8 % am Gesamt CO2-Ausstoß aus. Damit würde die Umwelt durch die IT-Branche stärker belastet als durch Autos und Motorräder (8% in 2018). (1) Bis 2030 schluckt die IKT vermutlich 20-30 % des globalen Energiebedarfs.
  • Der Energiebedarf der Digitalisierung in Europa wurde von 2010 bis 2020 von 57 auf 88 TWh/Jahr erhöht. Dies entspricht etwa dem Jahresenergieverbrauch von Belgien. (2)
  • 50.000 Rechenzentren stehen allein in Deutschland, ihr Jahresstromverbrauch entspricht dem von Berlin. Die Server der Rechenzentren sind nur zu 10-15 % ausgelastet. (3)
  • Der Anstieg des Energiebedarfs der deutschen Rechenzentren von 2019 auf 2020 entspricht etwa dem Stromverbrauch von Düsseldorf. (4) Bis zum Jahr 2025 wird der Energiebedarf der Rechenzentren in Deutschland voraussichtlich auf 16,4 Mrd. kWh ansteigen. Ein weiteres mittleres Kohlekraftwerk wäre notwendig, um diesen Anstieg abzufangen. (5)

Die kürzlich durch Große Koalition (Kabinett Merkel IV) vorgezogenen Ziele für die Erreichung von Klimaneutralität Deutschlands unterstreichen den Handlungsdruck. Sie bilden jedoch nur die Zielstellung und bleiben einen konkreten Rahmen bzw. Maßnahmen insbesondere mit Blick auf IKT schuldig.

Gesellschaft, Regierung und Verwaltung müssen handeln – jetzt!

In der Verwaltung ruht ein riesiges Potential. Die deutsche Verwaltung ist mit ihren Kommunikationsnetzen, Rechenzentren und Arbeitsplatzsystemen ein signifikanter Verbraucher für IT-Ressourcen. Wie o.g. Beispiel zeigt, ist es um die Energieeffizienz mindestens der Rechenzentren noch nicht optimal bestellt. Hier sollte die Verwaltung sehr schnell aufholen. Vorschläge für Ansatzpunkte sollen im Folgenden aufgezeigt werden. Dabei sollen sowohl langfristige als auch unmittelbar wirksame Instrumente betrachtet werden.

Die Verwaltung wird zum Change Agent und Nachhaltigkeitsleader

  1. Die Verwaltung wird zum Climate-Change-Agent: Unzweifelhaft ist, dass sich zu Adressierung des Klimawandels das Verhalten vom Individuum bis hin zur gesamten Gesellschaft ändern muss. Verhalten kann im Sinne des Leadership-Gedankens über weiche Faktoren (Image, Stimmung, Motivation, Vorbild, Führung, Unterstützung) gesteuert werden. Um das Verhalten einer Gesellschaft zu beeinflussen, insbesondere zum Thema Klimawandel, benötigt es einen einflussreichen, systemrelevanten (Climate-)Change Agenten. Wer könnte systemrelevanter sein als die Verwaltung mit Ihren knapp 5 Million Angestellten und Beamten. Würde die bundesdeutsche Verwaltung konsequent und flächendeckend nachhaltig, ressourcenschonend, emissionsvermeidend im Feld Informationstechnik handeln, wäre sie der vermutlich weltweit größte Climate Change Agent. Dafür müssten Rahmenbedingungen, Prozesse, Mindset etc. konsequent auf nachhaltiges Handeln ausgerichtet werden. Im Kontext IT könnte dies bedeuten, die o. g. Rechenzentren zu konsolidieren (Stichwort Cloud) und konsequent energieeffizient und ressourcenschonend aufzustellen. Des Weiteren sollte konsequent auf energiesparende Hardware mit langen Lebenszyklen gesetzt werden. Wie bei Elektroautos, wird die IT-Nutzung nachhaltiger, wenn der Strom zum Betrieb aus regenerativen Quellen stammt.
  2. Aus- und Fortbildung sowie Rekrutierung novellieren: Um die Verwaltung auch langfristig umzustellen und eine „neue Generation“ von Verwaltungsmitarbeitenden bzw. Change Agents, die Servicegedanken und Nachhaltigkeit nicht als Beruf, sondern Berufung verstehen, heranzuziehen, bedarf es der Ergänzung der heutigen Verwaltungsausbildung um eben jene Curriculums-Bausteine. Aspekte der nachhaltigen Rechtssetzung und Rechtsumsetzung, des ressourcenschonenden Wirtschaftens, der nachhaltigen Beschaffung sowie die in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts proklamierte Outputorientierung (Performance Management) sollten Grundbausteine der Aus- und Weiterbildung sein.
    Des Weiteren sollten Hürden für Quereinsteiger aus Wirtschaft und Gesellschaft, die über einschlägiges „grünes“ Know-how und entsprechende Kompetenzen verfügen, abgebaut und Anreize für den Seitenwechsel geschaffen werden. Hierzu gilt es den Zugang zum öffentlichen Dienst und die darauf zeigenden formalen Anforderungen an heutige Gegebenheiten anzupassen. Des Weiteren sollten ökonomische Anreize für ein Engagement in der öffentlichen Verwaltung sowie flexible Arbeitsmodelle implementiert werden, um die Attraktivität zu steigern.
    Nicht zuletzt sollten an allen Schnittstellen zwischen Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft Formate und Prozesse etabliert werden, die für den Transfer von „grünem“ Fach-, Technik- und Methoden-Know-how in die Verwaltung sorgen. Als einfachste Beispiele wären hier Coaching-Formate und Retrospektiven im Rahmen von Projekten zu nennen.

Die Verwaltung stellt auf nachhaltigen Service (Vermeiden, Vermindern, Kompensieren) um.

  1. Umwelt- und Emissionskosten betrachten: Bisher sieht das Verwaltungshandeln zur Bewertung einer Investition oder eines Verfahrens hauptsächlich Kapitalwert-basierte Faktoren (Wirtschaftlichkeit) zu Rate. Ergänzt werden diese gemäß WiBe-Standard um qualitativ-strategische Bewertungsfaktoren sowie externe Effekte und Risiken. Hier sollten zukünftig die bereits vorhandenen Lebenszykluskosten um die Umweltkosten und Emissionskosten erweitert werden. Im Rahmen der qualitativen Bewertung von Maßnahmen sollte die Nachhaltigkeit entsprechend priorisiert werden. Ggf. ist auch die Ergänzung des WiBe-Standards durch N(achhaltigkeits-)-Kriterien gerechtfertigt.
  2. Nachhaltige Beschaffung implementieren: Auch wenn Nachhaltigkeit in der Beschaffung in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist, findet sie in der Realität häufig noch keine Anwendung. Der Grund dafür ist, dass es nicht ausreichend Anbieter für Green IT gibt.  Im Rahmen der Beschaffung von Material und Dienstleistungen, angefangen von den Arbeitsplatzrechnern bis zur Aufklärungsdrohne und dazugehöriger Software, spielen funktionale und nicht-funktionale Anforderungen sowie Wirtschaftlichkeit eine herausgehobene Rolle. Das Kompetenzzentrum für nachhaltige Beschaffung gibt darüber hinaus konkrete Maßnahmen zur Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien vor und stellt zusätzliche Informationen zu nachhaltiger Beschaffung sowie zur Sensibilisierung von Beschaffer*innen und Bedarfsträger*innen bereit. Hier sind mehr staatliche Anreize für Investitionen in nachhaltige Technologien notwendig. Da es sich bei vielen Technologieanbietern um internationale Konzerne handelt, sollte sich die Bundesregierung vor allem auch auf internationaler Ebene stärker für die Förderung und den verbindlichen Einsatz grüner IT im öffentlichen Sektor einsetzen.

IT-Programme und Projekte richten sich unmittelbar am Oberziel Nachhaltigkeit aus

  1. Schlüsselfaktor nachhaltiges Anforderungsmanagement: Am Anfang eines erfolgreichen IT-Vorhabens steht eine umfangreiche Anforderungserhebung. Dieser Schritt sollte bereits zur nachhaltigen Ausrichtung des gesamten Projektes genutzt werden. Nachhaltigkeit muss als ein zentrales Umsetzungskriterium ins Anforderungsmanagement aufgenommen werden. Alle Schritte von der Projektinitialisierung über die Programmierung und Einführung bis zum Regelbetrieb sollten Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. In diesem Kontext agiert das Anforderungsmanagement-Team als zentraler Ausgangspunkt für ein globales Verständnis im Umfeld des Kunden über die horizontal angelegten Nachhaltigkeitskomponenten in allen Teilen des Projektes.
  2. Ausrichtung der IT-Dienstleister auf Green Coding: Bereits bei der Softwareentwicklung kann auf Energieeffizienz geachtet werden. Oftmals steht effizienter Code jedoch im Gegensatz zu verständlichem Code. Ein Beispiel auf anderer Ebene ist, dass überall gerne Excel benutzt wird, womit jeder Mitarbeiter umgehen kann. Doch gerade bei großen Datensätzen wären Datenbanken, Programmiersprachen oder andere spezielle Programme deutlich besser geeignet und weniger fehleranfällig. Ein anderes Beispiel ist die Sparsamkeit von Videokonferenzsystemen wie etwa Teams, die im Gegenspiel zu den vielen, ständig neuen Features steht. Und natürlich grundsätzliche Stromsparmodi bzw. das Vermeiden von Always-On-Funktionen sind ein weiteres großes Thema. Insgesamt kann ein nachhaltiges Mindset in dieser Phase viel bewirken, da es Einfluss auf jede spätere Nutzung nimmt

Für die Erreichung der Klimaziele muss die neue Bundesregierung als Vorbild vorangehen und auch den eigenen Energie- und Ressourcenverbrauch nachhaltig begrenzen. Gerade auf dem Weg zu einer nachhaltigen IT hat die deutsche Verwaltung noch einiges an Strecke vor sich, die Umstellung auf eine grünere Zukunft ist mit konsequentem Handeln und einem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit in allen Bereichen aber durchaus in Reichweite. Es ist wichtig, dass die gesamte Verwaltung über alle föderalen Ebenen hinweg als Climate Change Agent und Nachhaltigkeitsleader als gutes Beispiel vorangeht. Ein grundsätzlicher Mindset-Wandel und Unterstützung von geschultem Nachhaltigkeitsfachpersonal muss dazu führen, dass Nachhaltigkeitskriterien bei allen Entscheidungen Beachtung finden. Bei der Beschaffung von Dienstleistungen und Material muss konsequenter auf die Auswahl nachhaltiger Lösungen hingewirkt werden. Hier braucht es konkrete Vorgaben für die Einbeziehung von Nachhaltigkeitskriterien beispielsweise in der WiBe und bei den Vergaberichtlinien. Es sollte nicht zuletzt zur Normalität werden, dass sich IT-Programme und Projekte der Bundesregierung und aller anderen Verwaltungsgliederungen von Anfang am Oberziel der Nachhaltigkeit ausrichten und diese vom Beginn der Anforderungserhebung, über die Auswahl der Dienstleister sowie das Roll-Out und den Regelbetrieb als Priorität behandeln. Mit Hilfe dieser Handlungsempfehlungen kann die neue Bundesregierung die umweltpolitische Digitalagenda mit Leben füllen.

Artikel von:
Jessica Przybylski, Cassini Consulting
Jessica Przybylski
Senior Consultant
Bastian Witte, Cassini Consulting
Bastian Witte
Management Consultant
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