Hat dies auch negative Auswirkungen auf die notwendige Digitalisierung?
Trotz aller Widrigkeiten erleben wir aktuell das genaue Gegenteil. Der Druck globaler Krisen wirkt sich förderlich auf den mancherorts vorliegenden Digitalisierungsstau aus. Gesellschaft und Politik haben erkannt, dass ein handlungsfähiger und krisenresilienter Staat in heutigen Zeiten digital bestmöglich aufgestellt sein muss. Das spüren wir anhand der politischen Aufmerksamkeit für unsere Themen aber auch an der Zurverfügungstellung der für die Realisierung der zahlreichen Digitalisierungsvorhaben notwendigen Ressourcen. Beispielhaft sei hier die Bundesmaßnahme „Ressortübergreifende VS-Kommunikation“ erwähnt. Die Auslands-IT des Auswärtigen Amts hat innerhalb der letzten zwei Jahre eine Kommunikationslösung auf Basis neuester Krypto-Technologie für als „Geheim“ eingestufte Verschlusssachen entwickelt. Die mittlerweile auch aus den Medien bekannten roten Telefone eignen sich für Audio- und Videotelefonie sowie für Datentransfer und werden kontinuierlich weiterentwickelt.
Kommen wir zu einer weiteren Konsequenz: Wenn teilweise sogar Vergaben priorisiert werden müssen, heißt dies implizit, dass operativen Aufgaben nicht in der notwendigen Qualität und Quantität bewältigt werden können. Kommen daher zwangsläufig auch strategische Themen zu kurz? Zumal in den letzten Jahren immer wieder betont wurden ist, wie wichtig der strategische Einkauf ist. Welche Konsequenzen sehen Sie hier?
Die strategische Beschaffung bzw. eine ausformulierte Beschaffungsstrategie sind wichtiger als je zuvor. Gerade in unsicheren Zeiten vieler ad-hoc-Maßnahmen braucht es einen Orientierungspunkt in der Beschaffung. So verfolgen wir beispielsweise mit Nachdruck das strategische Ziel der digitalen Souveränität. Auch krisenbedingte Einzelmaßnahmen werden so ausgestaltet, dass keine Abhängigkeiten oder Lock-in-Effekte zu einzelnen Lieferanten entstehen können. Gerade im Bereich von Standardsoftware ist das zugegebenermaßen eine sehr große Herausforderung.
Werfen wir einen Blick auf den Markt. Weltweit kommt es zu Lieferengpässen in allen Bereichen. Ist dies bei Ihnen auch zu spüren? Was sind die Konsequenzen?
Ja, wir haben selbstverständlich auch mit spürbaren Lieferengpässen im Hardwarebereich zu kämpfen. Bei der Lösungsfindung müssen wir zuweilen kreativ werden. So eruieren wir beispielsweise fortlaufend den Einsatz von Ersatzprodukten oder versuchen, eine Priorisierung bei den Lieferanten zu erzielen. Auch unsere privatwirtschaftlichen Lieferanten haben natürlich ein Interesse an einem funktionalen öffentlichen Dienst und in unserem konkreten Fall an einer handlungsfähigen digitalen Diplomatie. Auf diese Weise konnten wir mittels formeller Ansprache bereits in mehreren Bereichen eine bevorzugte Belieferung realisieren. Für das Entgegenkommen unserer Unternehmenslandschaft sind wir sehr dankbar.
Wenn sich in Teilen ein Wechsel vom Bieter- zum Anbietermarkt vollzieht, was heißt das für bestehende Vertrags- und Lieferantenbeziehungen? Steigen die Preise?
Auch dieses Thema ist in unserem IT-Vertragsmanagement omnipräsent. Natürlich haben wir Verständnis für preislichen Zwänge unserer Lieferanten, prüfen diese jedoch stets im Einzelfall. Soweit wir zu einer positiven Einschätzung kommen, unterliegen die möglichen Preisanpassungen natürlich weiteren Restriktionen. In erster Linie muss geprüft werden, ob und wenn ja, welche Preisanpassungsklauseln im Vertrag vereinbart wurden und, falls diese nicht vorliegen oder nicht ausreichend sind, ob die geforderten Preisanpassungen mit dem Vergaberecht vereinbar sind. Wir haben natürlich kein Interesse daran, unseren Lieferanten die wirtschaftliche Grundlage unserer Verträge zu entziehen, stehen jedoch stets in diesem komplexen Spannungsfeld. Eine pauschale Lösung dafür gibt es nicht.
Was heißt das für zukünftige Beschaffungen?
Wir müssen unsere IT-Verträge ein stückweit flexibler bzw. agiler gestalten und noch stärker auf eine Multi-Vendor-Strategie setzen. Das alles ist leichter gesagt als getan. Öffentliche Beschaffungsstellen arbeiten in einem hochkomplexen System, welches neben den jeweiligen fachlichen Anforderungen auch dem Vergaberecht und dem Haushaltsrecht unterliegt. Wir müssen also in unserem Fall innerhalb der Jährlichkeit des Bundeshaushalts ein möglichst passgenaues Budget vorhalten, die teilweise sehr strengen Vorgaben und Fristen des Vergaberechts einhalten und nebenbei noch anforderungsgerechte Technologien bestimmen, die darüber hinaus allen gültigen Vorgaben und Strategien des Bundes entsprechen. Dieser Balanceakt in diesem engen Zeitrahmen ist kaum zu bewältigen, ohne mindestens eine Sphäre zumindest leicht zu vernachlässigen. Aus meiner Sicht braucht es drastische Erleichterungen im Bereich des Vergaberechts, insbesondere für IT-Leistungen.
Sehen Sie für die Auslands-IT bzw. für das Auswärtige Amt im Vergleich zu anderen Bundesbehörden gesonderte Herausforderungen und Konsequenzen, die das internationale Wirken mit sich bringen?
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass die globalen Lieferketten ein durchaus fragiles System sein können. Die Komplexität erhöht sich dann natürlich noch einmal um ein Vielfaches, wenn auf der Auftraggeberseite nicht nur eine konventionelle Inlandsbehörde steht, sondern ein IT-Dienstleister, der die informationstechnische Leistungsfähigkeit eines globalen Netzwerks aus allen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland unterhält. Das sind insbesondere die Botschaften und Generalkonsulate. Es ergibt sich also aus der Natur der Sache, dass die Auslands-IT besonderen Herausforderungen gegenübersteht. Wir bespielen eine georedundante Rechenzentrumsinfrastruktur und beliefern unsere Diplomatinnen und Diplomaten mit Produkten und Services über alle Grenzen und Zeitzonen hinweg. Zudem steht das Auswärtige Amt auch immer stärker im Fokus von Cyberkriminalität. Dies alles hat natürlich Implikationen auf die IT-Beschaffung und das IT-Vertragsmanagement. Wir können also durchaus behaupten, dass unsere Herausforderungen einen besonderen Charakter aufweisen.
Dann lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft schauen: Wie sollte sich der öffentliche Einkauf zukünftig aufstellen, um den aufkommenden Herausforderungen und Krisen entgegenzuwirken?
Wenn wir unsere Digitalisierungsrückstände gesamtgesellschaftlich aufholen und eine auch in modernen Zeiten krisenresiliente Staatsstruktur aufbauen möchten, brauchen wir mutige und kompetente Expertinnen und Experten in allen IT-Fachbereichen und im IT-Einkauf des öffentlichen Dienstes. Wir brauchen pragmatische Entscheidungswege und größere, vergaberechtliche Entscheidungsräume. Gepaart mit der notwendigen, politisch getragenen Ressourcenausstattung kann der öffentliche Einkauf ein gewaltiger Hebel sein. Wenn wir dabei auch strategische Ziele wie etwa die Digitale Souveränität und auch die Nachhaltigkeit unserer IT-Leistungen nicht aus dem Blick verlieren, so bin ich frohen Mutes, dass die nächsten Jahrzehnte auch eine große Chance für die Bundesrepublik Deutschland sein können.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Kurteshi.