Erblin Kurteshi, Auswärtiges Amt
Interview

„Die strategische Beschaffung ist wichtiger als je zuvor.“

Erblin Kurteshi verantwortet als stellvertretender Referatsleiter den gesamten IT-Einkauf sowie die IT-Vertragsbeziehungen der Auslands-IT des Auswärtigen Amts als zentralen IT-Dienstleister des Bundes für das Ausland. Damit bildet er die Schnittstelle zwischen der Auslands-IT und der Vergabeabteilung. Cassini-Berater Christopher Busche sprach mit ihm über Beschaffung und Vertragsmanagement in Krisenzeiten – ein Praxiseinblick. (Bildquelle: Wegweiser Media Conferences GmbH | Jens Jeske)

Herr Kurteshi, immer mehr Herausforderungen und Krisen wirken auf uns ein: Digitalisierungsdruck, Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise, demografischer Wandel. Meine These: Damit steigen Quantität und Komplexität der Aufgaben in der Beschaffung und dem Vertragsmanagement mit dem Schwerpunkt von Dienstleistungs- und Lieferverträgen. Sehen Sie dies auch so und wenn ja, warum? 
Definitiv, wir bewegen uns im Bereich der IT-Beschaffung seit Anfang der Corona-Pandemie in einem anhaltenden Ausnahmezustand. Angefangen mit globalen Lieferengpässen im Bereich IT-Hardware, über eilbedürftige Krisenbeschaffungen im Kontext der Cybersicherheit hin zur aktuell vorherrschenden Diskussion rund um Preisanpassungsklauseln in laufenden Verträgen stehen wir heute vor einer in dieser Ausprägung unbekannten Komplexität der Aufgabenwahrnehmung. Der ohnehin und berechtigt bestehende Digitalisierungsdruck und der IT-Fachkräftemangel verschärfen die Situation zusätzlich.

Das führt zwangsläufig dazu, dass mehr personelle Ressourcen mit entsprechender Expertise benötigt werden. Wie stellen Sie das Recruiting sicher? Zumal der demografische Wandel und der Fachkräftemangel diese Entwicklung zusätzlich „befeuern“.
Wir erleben in der Auslands-IT des Auswärtigen Amts, dass gerade in Krisenzeiten der Wunsch nach einem sicheren Arbeitsplatz mit gesellschaftlichem Mehrwert verstärkt in den Vordergrund vieler Bewerberinnen und Bewerbern rückt. Dadurch erhalten wir mehr Fachkräftezulauf, obwohl wir nicht immer mit privatwirtschaftlichen Konditionen anderer Arbeitgeber mithalten können. Der Öffentliche Dienst hat eindeutige Vorzüge und muss diese mit Entschlossenheit nutzen, um attraktiv für qualifizierte Fachkräfte zu sein.

Vermutlich müssen Sie Ausschreibungen priorisieren? Wie gehen Sie dabei vor? Und können Sie uns ein Praxisbeispiel benennen?
Die Priorisierung erfolgt in der Auslands-IT auf zwei verschiedene Arten. Planbare Digitalisierungsbedarfe werden in unserem regelmäßig tagenden Digitalisierungsausschuss ausgewertet und priorisiert. Dabei handelt es sich um Vorhaben mit Projektcharakter – bspw. die Modernisierung einzelner Visa-Bearbeitungsprozesse. Soweit es sich jedoch um akute Leistungsbedarfe handelt, die aufgrund einer Krisensituation entstanden sind, so müssen Ausschreibungen auch kurzerhand und ohne den skizzierten Vorlauf priorisiert werden. Beispielhaft könnte man hier Hardwarebeschaffungen zum Erhalt der mobilen Arbeitsfähigkeit unseres Personals in Hochzeiten der Pandemie benennen.

Besteht neben der Priorisierung auch die Gefahr, dass die Qualität der Ausschreibung bzw. der Vergabeunterlagen leidet, weil ggf. zielführende Methoden nicht angewendet werden können? 
Ein Zielkonflikt aus Geschwindigkeit und Qualität von Vergabeunterlagen kann, aber muss nicht zwangsläufig bestehen. Durch den zielgerichteten Einsatz von hochqualifiziertem Fachpersonal in der Auslands-IT und auch in der Vergabestelle des Auswärtigen Amts können auch in kürzester Zeit belastbare Vergabeverfahren designt werden. Mit dem notwendigen Fokus und der vorhandenen Vorerfahrung haben wir auch hochkomplexe, zweistufige Vergabeverfahren in kürzester Zeit auf die Beine gestellt – notfalls unter Vernachlässigung weniger krisenbezogener Themen.

Sprechen wir über die Konsequenzen: Die Auslands-IT fungiert als IT-Dienstleister für das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten sowie den Auslandsvertretungen sowie den Konsulaten der Bundesrepublik Deutschland. Besteht die Gefahr, dass Bedarfe nicht mehr gedeckt und somit originäre Aufgaben nicht mehr wahrgenommen werden können? Ggf. auch die Leistungserbringung des ausgeschriebenen Gegenstands nicht die notwendige Qualität aufweist? 
Die Auslands-IT als IT-Dienstleister für den gesamten Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts hat gemäß GAD einen eindeutigen Auftrag: Die autarke Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit der Zentrale des Auswärtigen Amts und aller Auslandsvertretungen hat oberste Priorität und wird in jedem Fall sichergestellt. Das bedeutet, dass im Zweifel auch neue Vorhaben zurückgestellt werden müssen, soweit die originären Kernprozesse des Auswärtigen Amts in Gefahr geraten sollten. Das hat also unmittelbaren Einfluss auf die Priorisierung. Wir bedienen uns neben Rahmenverträgen aus dem Kaufhaus des Bundes auch an eigenen spezifischen Rahmenverträgen, die den Sonderanforderungen des Auswärtigen Amts gerecht werden. Dort wo es möglich ist, setzen wir auf eine Dual-Vendor-Strategie, um keine Abhängigkeit von Lieferanten entstehen zu lassen.

Der Druck globaler Krisen wirkt sich förderlich auf den mancherorts vorliegenden Digitalisierungsstau aus.

Erblin Kurteshi, Auswärtiges Amt

Hat dies auch negative Auswirkungen auf die notwendige Digitalisierung?
Trotz aller Widrigkeiten erleben wir aktuell das genaue Gegenteil. Der Druck globaler Krisen wirkt sich förderlich auf den mancherorts vorliegenden Digitalisierungsstau aus. Gesellschaft und Politik haben erkannt, dass ein handlungsfähiger und krisenresilienter Staat in heutigen Zeiten digital bestmöglich aufgestellt sein muss. Das spüren wir anhand der politischen Aufmerksamkeit für unsere Themen aber auch an der Zurverfügungstellung der für die Realisierung der zahlreichen Digitalisierungsvorhaben notwendigen Ressourcen. Beispielhaft sei hier die Bundesmaßnahme „Ressortübergreifende VS-Kommunikation“ erwähnt. Die Auslands-IT des Auswärtigen Amts hat innerhalb der letzten zwei Jahre eine Kommunikationslösung auf Basis neuester Krypto-Technologie für als „Geheim“ eingestufte Verschlusssachen entwickelt. Die mittlerweile auch aus den Medien bekannten roten Telefone eignen sich für Audio- und Videotelefonie sowie für Datentransfer und werden kontinuierlich weiterentwickelt.

Kommen wir zu einer weiteren Konsequenz: Wenn teilweise sogar Vergaben priorisiert werden müssen, heißt dies implizit, dass operativen Aufgaben nicht in der notwendigen Qualität und Quantität bewältigt werden können. Kommen daher zwangsläufig auch strategische Themen zu kurz? Zumal in den letzten Jahren immer wieder betont wurden ist, wie wichtig der strategische Einkauf ist. Welche Konsequenzen sehen Sie hier? 
Die strategische Beschaffung bzw. eine ausformulierte Beschaffungsstrategie sind wichtiger als je zuvor. Gerade in unsicheren Zeiten vieler ad-hoc-Maßnahmen braucht es einen Orientierungspunkt in der Beschaffung. So verfolgen wir beispielsweise mit Nachdruck das strategische Ziel der digitalen Souveränität. Auch krisenbedingte Einzelmaßnahmen werden so ausgestaltet, dass keine Abhängigkeiten oder Lock-in-Effekte zu einzelnen Lieferanten entstehen können. Gerade im Bereich von Standardsoftware ist das zugegebenermaßen eine sehr große Herausforderung.

Werfen wir einen Blick auf den Markt. Weltweit kommt es zu Lieferengpässen in allen Bereichen. Ist dies bei Ihnen auch zu spüren? Was sind die Konsequenzen? 
Ja, wir haben selbstverständlich auch mit spürbaren Lieferengpässen im Hardwarebereich zu kämpfen. Bei der Lösungsfindung müssen wir zuweilen kreativ werden. So eruieren wir beispielsweise fortlaufend den Einsatz von Ersatzprodukten oder versuchen, eine Priorisierung bei den Lieferanten zu erzielen. Auch unsere privatwirtschaftlichen Lieferanten haben natürlich ein Interesse an einem funktionalen öffentlichen Dienst und in unserem konkreten Fall an einer handlungsfähigen digitalen Diplomatie. Auf diese Weise konnten wir mittels formeller Ansprache bereits in mehreren Bereichen eine bevorzugte Belieferung realisieren. Für das Entgegenkommen unserer Unternehmenslandschaft sind wir sehr dankbar.

Wenn sich in Teilen ein Wechsel vom Bieter- zum Anbietermarkt vollzieht, was heißt das für bestehende Vertrags- und Lieferantenbeziehungen? Steigen die Preise? 
Auch dieses Thema ist in unserem IT-Vertragsmanagement omnipräsent. Natürlich haben wir Verständnis für preislichen Zwänge unserer Lieferanten, prüfen diese jedoch stets im Einzelfall. Soweit wir zu einer positiven Einschätzung kommen, unterliegen die möglichen Preisanpassungen natürlich weiteren Restriktionen. In erster Linie muss geprüft werden, ob und wenn ja, welche Preisanpassungsklauseln im Vertrag vereinbart wurden und, falls diese nicht vorliegen oder nicht ausreichend sind, ob die geforderten Preisanpassungen mit dem Vergaberecht vereinbar sind. Wir haben natürlich kein Interesse daran, unseren Lieferanten die wirtschaftliche Grundlage unserer Verträge zu entziehen, stehen jedoch stets in diesem komplexen Spannungsfeld. Eine pauschale Lösung dafür gibt es nicht.

Was heißt das für zukünftige Beschaffungen?
Wir müssen unsere IT-Verträge ein stückweit flexibler bzw. agiler gestalten und noch stärker auf eine Multi-Vendor-Strategie setzen. Das alles ist leichter gesagt als getan. Öffentliche Beschaffungsstellen arbeiten in einem hochkomplexen System, welches neben den jeweiligen fachlichen Anforderungen auch dem Vergaberecht und dem Haushaltsrecht unterliegt. Wir müssen also in unserem Fall innerhalb der Jährlichkeit des Bundeshaushalts ein möglichst passgenaues Budget vorhalten, die teilweise sehr strengen Vorgaben und Fristen des Vergaberechts einhalten und nebenbei noch anforderungsgerechte Technologien bestimmen, die darüber hinaus allen gültigen Vorgaben und Strategien des Bundes entsprechen. Dieser Balanceakt in diesem engen Zeitrahmen ist kaum zu bewältigen, ohne mindestens eine Sphäre zumindest leicht zu vernachlässigen. Aus meiner Sicht braucht es drastische Erleichterungen im Bereich des Vergaberechts, insbesondere für IT-Leistungen.

Sehen Sie für die Auslands-IT bzw. für das Auswärtige Amt im Vergleich zu anderen Bundesbehörden gesonderte Herausforderungen und Konsequenzen, die das internationale Wirken mit sich bringen?
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass die globalen Lieferketten ein durchaus fragiles System sein können. Die Komplexität erhöht sich dann natürlich noch einmal um ein Vielfaches, wenn auf der Auftraggeberseite nicht nur eine konventionelle Inlandsbehörde steht, sondern ein IT-Dienstleister, der die informationstechnische Leistungsfähigkeit eines globalen Netzwerks aus allen Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland unterhält. Das sind insbesondere die Botschaften und Generalkonsulate. Es ergibt sich also aus der Natur der Sache, dass die Auslands-IT besonderen Herausforderungen gegenübersteht. Wir bespielen eine georedundante Rechenzentrumsinfrastruktur und beliefern unsere Diplomatinnen und Diplomaten mit Produkten und Services über alle Grenzen und Zeitzonen hinweg. Zudem steht das Auswärtige Amt auch immer stärker im Fokus von Cyberkriminalität. Dies alles hat natürlich Implikationen auf die IT-Beschaffung und das IT-Vertragsmanagement. Wir können also durchaus behaupten, dass unsere Herausforderungen einen besonderen Charakter aufweisen.

Dann lassen Sie uns gemeinsam in die Zukunft schauen: Wie sollte sich der öffentliche Einkauf zukünftig aufstellen, um den aufkommenden Herausforderungen und Krisen entgegenzuwirken? 
Wenn wir unsere Digitalisierungsrückstände gesamtgesellschaftlich aufholen und eine auch in modernen Zeiten krisenresiliente Staatsstruktur aufbauen möchten, brauchen wir mutige und kompetente Expertinnen und Experten in allen IT-Fachbereichen und im IT-Einkauf des öffentlichen Dienstes. Wir brauchen pragmatische Entscheidungswege und größere, vergaberechtliche Entscheidungsräume. Gepaart mit der notwendigen, politisch getragenen Ressourcenausstattung kann der öffentliche Einkauf ein gewaltiger Hebel sein. Wenn wir dabei auch strategische Ziele wie etwa die Digitale Souveränität und auch die Nachhaltigkeit unserer IT-Leistungen nicht aus dem Blick verlieren, so bin ich frohen Mutes, dass die nächsten Jahrzehnte auch eine große Chance für die Bundesrepublik Deutschland sein können.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Kurteshi.

Erblin Kurteshi

ist stellvertretender Referatsleiter IT-Vertragsmanagement im Auswärtigen Amt. Nach dem Studium des Deutschen und Europäischen Wirtschaftsrechts an der Universität Siegen (LL.B. und LL.M.) war er in verschiedenen Behörden und Organisationen des Bundes im Bereich der IT-Beschaffung tätig. Heute verantwortet er den gesamten IT-Einkauf sowie die IT-Vertragsbeziehungen der Auslands-IT des Auswärtigen Amts als zentralen IT-Dienstleister des Bundes für das Ausland.

Das Interview führte Christopher Busche. Er verfügt über langjährige Projekterfahrung auf Bundes- und Landesebene mit den Themenschwerpunkten IT-Vergabe, IT-Vertragsmanagement und IT-Lieferantenmanagement.
Christopher Busche
Christopher Busche
Management Consultant
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