IT Transformation mit Tempo

Mit Mut zum Erfolg

Dr. Annette Hamann ist CIO Beiersdorf & Managing Director Beiersdorf Shared Services IT.
Ihr Ziel: Eine IT schaffen, die neue Wege geht, anders denkt und neue Best Practices etabliert, statt an Altbewährtem festzuhalten.
Mit dem Projekt "FUSION" hat sie all das unter Beweis gestellt.
Wir trafen Annette Hamann zum Interview.

Die WiWo titelte einst „SAP – Ein Albtraum mit drei Buchstaben“ und führte im Artikel aus, dass die meisten SAP Projekte wesentlich länger dauern als erwartet und auch sonst einige Herausforderungen mit sich bringen. Kannst du das bestätigen?
Für Beiersdorf kann ich das nicht bestätigen, denn wir haben gerade einen erfolgreichen, globalen Start von SAP S/4HANA erlebt. Das war ein digitales Großprojekt der besonderen Art, denn wir haben nicht nur auf die neue SAP-Technologie umgestellt, sondern auch gleichzeitig unsere beiden bisherigen SAP-Systeme in ein globales Template zusammengeführt. Es waren weltweit über 100 Gesellschaften und 17 Produktionsstandorte beteiligt und nun sind mehr als 13.000 Beiersdorf User*innen im neuen System.

Das Projekt hieß FUSION und lief etwa zweieinhalb Jahre. Das finde ich bei dieser Komplexität durchaus schnell. Bei der Umstellung auf S/4HANA wurde mit etwa 25 Terabytes von SAP-Daten hantiert. Über 1.500 Schnittstellen von SAP zu anderen Systemen mussten geprüft und neu verbunden werden und mehr als 10 000 Eigenentwicklungen auf die neue Technologie umgestellt werden . Zahlreiche Stammdaten, Bestellungen von Kund*innen, Bestände, Businessprozesse und vieles mehr müssen in das neue System überführt werden.

Ihr habt SAP also in Rekordzeit umgesetzt und damit einen neuen Benchmark etabliert. Auch Retailer sind begeistert, da es keine nennenswerten Herausforderungen gab. Was waren aus deiner Sicht die wichtigsten Aspekte, die zum Erfolg führten?
Das Team, den Fokus und Prioritäten einzuhalten und unser Support-Ansatz.

Es war das Team, das zum Erfolg geführt hat. Die Kolleg*innen haben mit viel Engagement und Herzblut an FUSION gearbeitet. Es waren Expert*innen mit jahrelanger Beiersdorf Erfahrung dabei, aber auch neue Kolleg*innen. Zu Beginn des Projekts waren vor allem Expert*innen aus den Headquarter Funktionen und der IT aktiv. Sie haben die notwendigen technischen Voraussetzungen geschaffen und die Änderungen im Detail vorbereitet. In den letzten Monaten vor der finalen Umstellung wurden dann zusätzlich Kolleg*innen aus den Tochtergesellschaften eingebunden, um die Einführung des neuen Systems in den jeweiligen Ländern konkret vorzubereiten. Über 100 Gesellschaften und Produktionsstandorte waren beteiligt und haben ihre komplette Geschäftsplanung, insbesondere zum Jahreswechsel, dem Projekt angepasst. Ohne diese Rückendeckung wäre ein Projekt dieser Größenordnung und Komplexität nicht möglich gewesen.

Die für ein SAP Projekt kurze Laufzeit von zwei Jahren hilft dabei den Fokus zu behalten sowie Prioritäten zu setzen. Team-Mitglieder*innen, die ihr Know-How in dem Projekt aufgebaut haben, bleiben bis zum Ende dabei und können „die Früchte ihrer Arbeit ernten“. So konnten wir übliche Effizienz-Verluste durch Wechsel vermeiden und Kontinuität sicherstellen.

Besonders wichtig war auch die Testphase – ein bedeutender Abschnitt im ganzen Projekt. Weltweit wurden über 140.000 Fälle von Kolleg*innen getestet, analysiert, und falls notwendig korrigiert und erneut getestet. Es wurden mehr als 6.000 Probleme identifiziert und gelöst. Jeder globale Prozess wurde von verschiedenen Test-Teams parallel gecheckt – über diese Mehrfachtests für die Standardprozesse wurde das Fehler-Risiko stark reduziert. Die Generalprobe für die Umstellung war ebenfalls eine wichtige Priorität: Im November probten sieben Tochtergesellschaften über mehrere Wochen mit dem Kern-Projektteam den Ernstfall. Dabei wurde die komplette, finale Systemumstellung simuliert. Auf Basis der Ergebnisse konnten noch Anpassungen für den Go-Live vorgenommen werden. Die finale Phase haben wir in drei große Go-Live-Meilensteine aufgeteilt, auf die wir uns fokussiert haben: Das Herunterfahren des alten Systems, die Migration von mehr als 775 Millionen Dateneinträgen und schließlich das Hochfahren der Geschäfts-Abläufe im neuen System. Essentiell war hierbei die Priorisierung nach Business-Kritikalität im Hinblick auf Kern-Märkte und-Prozesse.

Als weiteren Erfolgs-Aspekt sehe ich unseren Support-Ansatz. Insbesondere für die Phase kurz nach dem Go-Live konnten wir einen Support von 21 Stunden an 5 Tagen sicherstellen – für den Nahen Osten, Europa, Amerika, Asien und Australien. Wir haben uns dafür in mehreren Schichten organisiert – zwei in Hamburg und eine in unserem Hub in Mexiko. Darüber hinaus hatten wir auch Expert*innen vor Ort in Asien. So konnten wir über mehrere Zeitzonen präsent sein und die anfallenden Tickets rund um die Uhr bearbeiten. Alle anfallenden Tickets wurden zentral verwaltet und nach einer klar vorgegebenen Struktur, der Business-Kritikalität von Kern-Märkten und-Prozessen -  priorisiert.

Eine erfolgskritische Rahmenbedingung war, dass wir von Anfang an das volle Commitment vom Top Management und dem Vorstand für das Projekt und unseren Ansatz hatten.

Es ist mutig und entgegen den Konventionen, sich für einen Big Bang Ansatz zu entschieden. Hand aufs Herz: Gab es Momente während des Projekts, wo du Zweifel hattest? Und wenn ja, wie bist du damit umgegangen?
Es gab Situationen, in denen die Risiken größer wurden. Wir haben auch dann an unserem Ansatz festgehalten, weil er nach wie vor als beste Option erschien.

Beim Go-Live am Jahreswechsel lief alles planmäßig. Dennoch gab es zahlreiche Themen und kleinere Probleme, die es zu lösen galt und die das Projektteam hinter den Kulissen beschäftigt haben. Hierbei hat sich unser Ansatz, die Geschwindigkeit des Ramp-ups über die Anzahl der offenen Tickets zu steuern, ausgezahlt.

Einen größeren Schreckmoment gab es aber doch noch, als plötzlich über 20.000 Artikelnummern im neuen System mit falschen Daten überschrieben waren. Alles konnte glücklicherweise relativ schnell wieder hergestellt werden, so dass wir unseren Ramp-up wieder aufnehmen und wie geplant finalisieren konnten. Eine großartige Team-Leistung von den Kolleg*innen.

Stichwort Leadership: Wie hast du die Projektorganisation zusammengesetzt? Was waren erfolgskritische Rahmenbedingungen, die du geschaffen hast? (Interne Umsetzung mit gezielter externer Unterstützung statt Outsourcing an IT DL oder Hersteller)
Wir haben das Projekt mit einem Steering Committee und einem Kernteam, dem Projekt Management Team, aufgesetzt. Das Steering Committee war neben mir mit zwei Vorstandsmitglieder*innen sehr hochkarätig besetzt, sodass wir die nötige Entscheidungskompetenz hatten. Das weitere Projektteam bestand aus Expert*innen unterschiedlicher Funktionsbereiche. So konnten wir FUSION mit internem Know-How und Einsatz von externer Unterstützung in gezielten Bereichen durchführen.
Eine erfolgskritische Rahmenbedingung war, dass wir von Anfang an das volle Commitment vom Top Management und dem Vorstand für das Projekt und unseren Ansatz hatten.

Was verändert das Fusion-Projekt in Bezug auf anstehende Projekte? Planst du Projekte perspektivisch anders umzusetzen?
Das Projekt ist tatsächlich noch nicht zu Ende – jetzt ist die Value Acceleration Phase gestartet. FUSION hat eine neue digitale Ära eingeläutet und ermöglicht es, unsere Geschäftsprozesse weiter zu optimieren und sie zu automatisieren, wodurch sie transparenter und schneller werden. So können wir künftig das volle Potenzial der neuen SAP-Technologie ausschöpfen und Beiersdorf als digitales Unternehmen auf eine ganz neue Ebene bringen.

Wie ist deine Vision für die Beiersdorf IT?
Die Vision der IT orientiert sich an der übergeordneten Unternehmensstrategie und unser Erfolg basiert auf der engen Zusammenarbeit zwischen Business und IT.

Der Einsatz modernster Technologien hat das Potential den Mehrwert für das Geschäft zu steigern – bis hin zu einem Wettbewerbsvorteil. Unsere Hauptaufgabe ist es dieses Potenzial für Beiersdorf zu realisieren und den Fokus der IT auf diesen Value-Gedanken zu legen.

IT-Organisation der Zukunft: Annette Hamann im Video-Interview

Was sind die relevantesten Aspekte und Herausforderungen, um eine zukunftsweisende IT-Organisation aufzubauen? Wie sehen adäquate Lösungen aus, um dem Fachkräftemangel in der IT zu begegnen? Welche Technologien werden in Zukunft IT Abteilungen maßgeblich beeinflussen und verändern?

Annette Hamann gab uns spannende Insights in einem Video-Interview:

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Über Annette Hamann

Mit über 20 Jahren IT-Erfahrung verfügt Annette Hamann über ein breites Spektrum an IT-Fähigkeiten und fundierte Kenntnisse in der Geschäftsführung.
Nach ihrem Studium der Mathematik in Göttingen absolvierte sie ein 2-jähriges Programm in China, einschließlich eines einjährigen Praktikums bei Henkel China. Nach ihrer Doktorarbeit begann sie 1999 ihre IT-Karriere als IT-Systemanalytikerin bei Procter & Gamble in Deutschland und setzte sie in verschiedenen regionalen und globalen IT-Positionen in der Europazentrale in der Schweiz bis 2015 fort. Danach wechselte sie zu Henkel als Corporate Vice President IT Process Consulting and Enterprise Architecture in die Zentrale in Düsseldorf. Sie implementierte eine strategische Unternehmensarchitektur und war verantwortlich für das globale Application Lifecycle Management über alle Geschäftsfunktionen und Technologien hinweg, die neue Bereiche wie Produkt- und Industrie-IoT, Advanced Analytics, oder Robotik abdecken.
Annette Hamann ist seit Mai 2020 CIO bei Beiersdorf und Geschäftsführerin der IT bei Beiersdorf Shared Services. Neben der Modernisierung der IT-Funktion konzentriert sie sich insbesondere auf die digitale Transformation des Konzerns.

Annette Hamann ist unter den Top 100 global CIO im Jahr 2023.

Annette Hamann, CIO Beiersdorf