Blogbeitrag von
Tim Müller, Senior Consultant, Cassini Consulting AG
Tim Müller
Senior Consultant
Stefan Wahl, Associate, Cassini Consulting AG
Stefan Wahl
Associate
Artikelreihe Robotic Process Automation in Retail, Teil 3
Artikelreihe | Robotic Process Automation in Retail

Automatisierungen in der Inventarverwaltung können Regallücken verhindern

Im letzten Teil unserer Artikelreihe untersuchen wir, wie RPA im Einzelhandel eingesetzt werden kann, um die Bestandsverwaltung zu optimieren und Handelsunternehmen auf die nächste Stufe zu heben. Im Anschluss betrachten wir die verschiedenen Nutzendimensionen von RPA-Implementierungen und geben einen Ausblick auf Überwachung und Reporting.

Vom Ist- zum Soll-Prozess

Ist das Automatisierungsvorhaben beschlossen und auf einen Prozess festgelegt, wird zunächst der Ist-Zustand des Prozesses analysiert, um daraus den Soll-Prozess abzuleiten und zu dokumentieren. Falls bereits bei der Prozessauswahl Methoden wie das Process Mining durchgeführt worden sind, sollten die entstandenen Prozessmodelle unbedingt als Ausgangslage genutzt werden.

Entlang des modellierten Ist-Prozesses werden Anforderungen aufgenommen, die den gewünschten Zustand des Soll-Prozesses beschreiben und mit denen sichergestellt wird, dass sie den Anforderungen des Fachbereichs sowie den Anforderungen und Zielen des Unternehmens entsprechen. Der Einfluss der Automatisierung auf das Unternehmen wird dargestellt, in dem potenzielle Risiken identifiziert, potenzielle Gegenmaßnahmen genannt und aufkommende Vorteile aufgeführt werden. 

Im Lebensmitteleinzelhandel können Automatisierungen zum Beispiel in der Inventarverwaltung, der Auftragsabwicklung, der Kundenbetreuung oder dem Lieferkettenmanagement zum Einsatz kommen.

Durch die Inventarverwaltung stellen Retailer sicher, dass sie über ausreichend Produkte zum Verkauf verfügen, ohne dabei ein Über- oder Unterangebot zu schaffen. Besonders im Verkauf von Lebensmitteln ist dies unabdingbar. Eine effektive Verwaltung des Inventars hilft dabei, Kosten niedrig zu halten, Verkaufsmuster besser zu verstehen und präzise Angebotsvorhersagen zu treffen. Durch die Automatisierung von Routineaufgaben wie Dateneingabe und -abgleich kann RPA die Bestandsgenauigkeit verbessern und die mit dem Wareneinkauf verbundenen Kosten senken.

Informationen, die dabei gesammelt und ausgewertet werden, müssen zum Beispiel die genauen Standorte und Mengen einzelner Produkttypen umfassen, Verkaufsstatistiken nach Standort und Vertriebskanal, Gewinnspannen, Bestandsmengen von Haupt- und Reservelager, saisonale Auswirkungen und Nachbestellungspläne.

Konkret wird im Folgenden das Beispiel von Regallücken herangezogen. Diese gehen mit direkten Umsatzeinbüßen einher und fördern den Wechsel des Kunden zur Konkurrenz. Automatisierungen können in diesem Fall konkret dabei helfen, Regallücken zu vermeiden, indem sie den Datentransfer zwischen Bestandssystemen, externen Quellen, Verkaufsstellen und Prüfungsergebnissen optimieren. Lieferabweichungen oder Rücksendungen können auf diese Weise schnell erfasst werden. Nachbestellungen können rechtzeitig angestoßen oder – bei entsprechender Implementierung – vollständig automatisiert werden. Roboter könnten außerdem historische Verkaufsdaten, Verkaufsdaten aus Werbeaktionen oder der Saisonalität zusammenstellen.

Entlang eines beispielhaft aufgestellten Soll-Prozesses für die Inventarverwaltung könnten die folgenden Anforderungen an die RPA-Implementierung entstehen:

In Zusammenarbeit mit den Prozessverantwortlichen werden basierend auf diesen Anforderungen Testszenarien aufgestellt, um eine spätere Validierung der Implementierung zu ermöglichen. Am Ende wird die Analyse gesammelt dem Entwicklerteam zur Verfügung gestellt und die Umsetzung des Automatisierungsvorhabens kann nach Erstellung eines Zeitplans und dem Schätzen der Aufwände beginnen.

Automatisierungen liefern sowohl messbaren als auch nicht-messbaren Nutzen

Nachdem potenzielle Prozesse für eine Automatisierung identifiziert wurden, geht es im nächsten Schritt darum, den Business Case aufzustellen, um Entscheidungsverantwortliche innerhalb der eigenen Firma von der Umsetzung eines RPA-Projekts zu überzeugen. In dieser Phase ist es die Aufgabe eines Business Analyst, die Automatisierungsvorhaben hinsichtlich ihres Geschäftswertes, der Komplexität und der Durchführbarkeit zu prüfen.

Der Hauptzweck des Business Case ist es aufzuzeigen, dass die gewünschte Automatisierung mit den Unternehmenszielen vereinbar ist. Ziel ist es, am Ende eine Priorisierung der unterschiedlichen Automatisierungsvorhaben aufgestellt zu haben und daraus eine Strategie zur Umsetzung abzuleiten.

Da eine rein finanzielle Betrachtung von Automatisierungsprojekten oft wichtige Aspekte außer Acht lässt, empfiehlt es sich auch bei der Implementierung von RPA den 5-Dimensionen-Zyklus von Axmann und seinen Kollegen zu verwenden, um eine umfassende Bewertung durchzuführen.

5-Dimensionen-Zyklus nach Axmann et.alii.

Abbildung 2 in Anlehnung an Axmann, Harmoko 2021

Der offensichtliche Nutzen eines Automatisierungsvorhabens kann aus verschiedenen Kennzahlen entnommen werden, welche zum Beispiel aus der Verbesserung der Bearbeitungszeit, der Senkung der Kosten, der Steigerung der Einnahmen oder der Verbesserung der Genauigkeit hervorgehen. Nicht-messbarer Nutzen hingegen wird beispielsweise durch eine erhöhte Kunden- oder Mitarbeiterzufriedenheit oder eine verbesserte Markenwahrnehmung gestiftet.

In der Bewertung der verfügbaren Technologien sollte berücksichtigt werden, ob beaufsichtige, unbeaufsichtigte oder eine Mischform beider Softwareroboter-Arten umgesetzt werden soll. Bei Prozessen, die bisher nicht oder nur teilweise digitalisiert sind, können weitere technologische Hürden, durch zum Beispiel die Einführung zusätzlicher Software, geschaffen werden. Unausgereifte Technologien bieten zwar die Chance, einen erheblichen Wettbewerbsvorteil zu erzielen, bergen auf der anderen Seite jedoch auch höhere Risiken und höhere Zeitaufwände.

Die Benutzungsfreundlichkeit neuer Funktionalitäten wird im Allgemeinen als hoch bezeichnet, wenn diese einfach zu verstehen sind und die Anwendung ohne zusätzlichen Input durch beispielsweise eine Fachexpertise erfolgen kann. Im Zuge von RPA-Umsetzungen gilt es also, geeignete Software auszuwählen, die Anzahl der Roboter zu bestimmen und gegebenenfalls Fachwissen einzukaufen, um eine möglichst nutzungsfreundliche Umgebung zu schaffen.

So wie bei jedem Projekt entstehen auch bei RPA-Projekten Aufwände in der Bereitstellung von Personal,in der Vorbereitung und Organisation oder dem Aufbereiten von Daten. Da RPA in der Regel in bestehende IT-Systeme integriert werden kann sind Aufwände relativ gesehen kleiner als bei anderen Softwareeinführungen. Je nach zu automatisierendem Prozess können diese jedoch unterschiedlich hoch ausfallen und sollten aus diesem Grund in der Bewertung berücksichtigt werden.

Die offensichtlichste Kostenstelle eines RPA-Projekts sind die jährlich wiederkehrenden Lizenzkosten. Je nach den ausgewählten Automatisierungsvorhaben und der dazugehörigen Tool-Auswahl unterscheiden diese sich in Höhe und Zahlungsrhythmus. Der zweite große Kostenpunkt sind Instandhaltungs- und Wartungskosten. Diese sollten hauptsächlich berücksichtigt werden, um die Automatisierungen auf lange Sicht zu optimieren und zu skalieren. Je nach Komplexität der RPA und der damit einhergehenden Anzahl der Roboter entstehen höhere Instandhaltungskosten auf Unternehmensseite, welche ab einer gewissen Größe auch ausgelagert werden können.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass diese 5-Dimensionen von Axmann und Kollegen eine fundierte Grundlage schaffen, um sowohl messbaren als auch nicht-messbaren Nutzen von Automatisierungen zu erfassen.

Die Berücksichtigung verschiedener Technologieoptionen sowie die Einschätzung von Aufwänden und Kosten sind entscheidend für eine erfolgreiche Implementierung von RPA und sollten daher unbedingt bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden. Durch eine sorgfältige Abwägung in Form eines Business Case können Unternehmen das volle Potenzial von RPA ausschöpfen und langfristig von der Umsetzung profitieren.

Eingeführte RPAs sollten stetig überwacht und verbessert werden

Nach erfolgreichen RPA-Einführungen ist die am häufigsten genannte Verbesserung die gesteigerte Effizienzinnerhalb des Unternehmens. Die höhere Geschwindigkeit und die höhere Arbeitskapazität führen zu einer höheren Durchsatzrate. Daraus können schnellere Produkteinführungen oder schnellere Genehmigungen von Innovationen resultieren.

RPA kann für Einzelhändler also eine sehr wertvolle Möglichkeit sein, scheinbar widersprüchliche Ziele zu erreichen. Es können Fehler beseitigt und zur selben Zeit schnellere Durchlaufzeiten geschaffen werden. Kosten können reduziert und zur selben Zeit das Kundenerlebnis verbessert werden. Digitale Prozesse können neu gestaltet werden, ohne auf disruptive Technologie zu setzen. Sich wiederholende Tätigkeiten werden abgelöst und schaffen dabei Freiraum für produktive und kreative Aufgaben.

Um eine erfolgreiche und nachhaltige Umsetzung von RPA sicherzustellen, bietet sich die Orientierung an den in dieser Abhandlung aufgeführten Kriterien an.

Nach der Einführung sollten RPA-Ansätze am besten durch ein fachlich geführtes Center of Excellencegemanagt werden. Um dieses einzuführen, braucht es Zeit, die Zustimmung der IT Governance sowie trainiertes Personal, um sowohl bestehende Automatisierungen anpassen zu können, als auch weitere Prozesse zu automatisieren.

Letztlich ist zu berücksichtigen, dass RPA-Vorhaben keine einmaligen Projekte sind, sondern nach der Umsetzung eines kontinuierlichen Monitorings sowie kontinuierlicher Verbesserungen bedürfen.

Jede manuelle Dateneingabe birgt die Gefahr von Fehlern, welche durch programmierbare Regeln, Konsistenz und Genauigkeit vermieden werden können. Schlussendlich ermöglicht die Automatisierung Kapazitätssteigerungen, ohne von zusätzlichem Personal oder auch technologischen Ressourcen Gebrauch machen zu müssen. Freigewordene Zeit der Mitarbeitenden kann für kundenorientierte, sinnstiftende Aktivitäten genutzt werden.

Fazit

RPA bietet vielfältige Potenziale und Einsatzmöglichkeiten, wie sie anhand der Retail-Branche aufgezeigt wurden. Für die erfolgreiche Implementierung und Nutzung von RPA bildet die Identifikation und Bewertung geeigneter Prozesse die entscheidende Grundlage. Ebenfalls ist ein RPA-Vorhaben nach der Implementierung nicht abgeschlossen, sondern bedarf eines Monitorings und kontinuierlicher Weiterentwicklung, um nachhaltigen Nutzen zu stiften. In den Phasen einer RPA-Implementierung bietet Process Mining unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten und wertvolle Insights in den Prozess.

Quellenverzeichnis 

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Robotic Process Automation | Case Study Retail: Cutting-edge inventory management with RPA. (n.d.). www.servicetrace.de/en/.