autonome Systeme in der Pflege
Personalkrise und Innovation

Was können autonome Systeme in der Pflege leisten? Ein Überblick.

Eine von der Universität Bremen im Auftrag des Bundes erfolgte Studie beziffert den Bedarf an Pflegekräften in der Altenpflege bereits heute auf ca. 120.000. Die Studie stellt fest: Es fehlen vor allem Assistenzkräfte. Heute werden ihre Aufgaben von überqualifizierten Fachkräften übernommen. Ähnliche Studien für den Bereich der Krankenhauspflege zeichnen ebenfalls einen Bedarf von mehreren zehntausend Pflegekräften.
Klar, dass im Zusammenhang mit solchen Zahlen häufig nach Lösungen durch IT-Innovationen gefragt wird. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, z. B. der Planung, des Recruitings oder der Abrechnung hat sich in vielen Branchen etabliert und kann auch in der Pflege kurzfristig für Entlastung sorgen.
Wie steht es aber um Innovationstrends, um zukunftsweisende Technologien?

Analysten von Gartner sehen Autonomous Things unter den Top 10 „Strategic Technology Trends“ für 2020. Gemeint sind damit Maschinen, welche mit KI-Unterstützung vormals menschliche Aufgaben übernehmen. Gilt der Trend auch für die Pflege? Dieser Frage wollen wir anhand bereits heute eingesetzter und verfügbarer Technologien nachgehen.

Pflegeroboter in Deutschland

Und tatsächlich, es gibt sie schon: Autonome Roboter, welche in deutschen Pflegeeinrichtungen im Einsatz sind. Allerdings sind sie, und das überrascht vermutlich kaum, sehr rar. Diese wenigen Projekte haben eher forschenden bzw. experimentellen Charakter und werden häufig nur durch öffentliche Fördergelder möglich gemacht.

Gleichzeitig sind viele Fragen, welche den Einsatz von KI-Maschinen in der Pflege begleiten, ungeklärt: Datenschutzrechtliche Aspekte werden genauso als Hindernisse für viele Anwendungen aufgeführt wie eine gesellschaftliche „Berührungsangst“ und pauschale Ablehnung von KI.
Dabei schildern sowohl Pflegende als auch Gepflegte positive Erfahrungen mit bestehenden Systemen. Auch außerhalb der Welt der „Technikbegeisterten“ und „IT-Affinen“ finden sich immer mehr Fürsprecher ihres Einsatzes. Neuerdings gehört selbst der Deutsche Ethikrat dazu. Grund genug für uns, einzelne Lösungen näher zu betrachten.

Pepper

Pepper heißt die junge Roboter-Dame (wenn man ihrer eigenen Aussage glauben darf), welche in Schleswig-Holstein, Sachsen und Unterfranken in pflegerischem Einsatz ist. In bisher drei Einrichtungen übernimmt der Roboter zunächst vor allem die Rolle des Entertainers: spielt Spiele, erzählt Märchen, singt, tanzt und macht mit den Senioren Gymnastik.

Die Sensorik erlaubt es Pepper, Gesichter und Stimmungen zu erkennen sowie auf gesprochenes Wort und Berührung – Hand halten oder Streicheln am Kopf – zu reagieren. Auch wenn sie noch etwas „roboterhaft“ wirkt, entstehen so durch Gestik untermalte Gespräche. Dabei nutzt Pepper mehrfarbige LEDs in ihren Augen, um Aufmerksamkeit zu signalisieren oder die innere „Gefühlswelt“ zu zeigen. Ein fest installierter Touch-Bildschirm vor der Kunststoffbrust dient als ein zusätzlicher Kommunikationsweg, auf dem z. B. auch Spiele dargestellt werden können.
Drei omnidirektionale Räder bewegen Pepper frei im Raum. Lasersensoren und Kameras sorgen dafür, dass ein solcher Spaziergang auch sicher und kollisionsfrei abläuft.

Das niedliche Aussehen und die interaktiven Entertainment-Funktionen sollen zunächst für Unterhaltung bei den Pflegebedürftigen sorgen. Daneben werden auch Anwendungen zur Beobachtung und strukturierter Datenerfassung getestet. So erinnert Pepper die Senioren an regelmäßiges Trinken und führt über die Gesichtserkennung entsprechende Protokolle, die vom Pflegeteam über hauseigene Systeme überwacht werden. Auch die Entwicklung der Gedächtnisleistung (für Demenzkranke besonders relevant) kann durch Ergebnisse von Memory-Spielen gemessen und protokolliert werden. Offenheit gegenüber unabhängigen Entwicklern kann darüber hinaus für eine Vielzahl weiterer Funktionen sorgen.

Pflegeroboter Pepper
Bildrechte: ENTRANCE Robotics GmbH

Therapierobbe Paro

Nicht alle Roboter orientieren sich am menschlichen Aussehen. Die kuschelige Robbe Paro gibt es bereits seit 2004 auf dem Markt. Sie ist speziell für die Arbeit mit in sich gekehrten Menschen, z. B. Demenzkranken oder Autisten, konzipiert. Bereits 2014 war sie laut Presseberichten in über 40 Einrichtungen hierzulande im Einsatz.

Ähnlich wie Therapietiere soll Paro beruhigen, Stress abbauen und positive Emotionen wecken. Wird die Robbe angesprochen, dreht sie ihren Kopf in die Richtung der Stimme. Streicheln wird mit niedlichen Lauten eines echten Robbenbabys und sanfter Bewegung erwidert. Bewegliche Augenlider helfen Paro, positive wie negative Emotionen zu zeigen: Beim Kraulen fallen die Augen zu, nach Schlägen schauen sie verängstigt. Die KI lernt im Hintergrund, welches Verhalten gut ankommt und welches nicht. Auch künstliche Robben wollen schließlich gut behandelt werden.

Trotz ihrer bisher nur auf den Einsatz als intelligentes Kuscheltier begrenzten Möglichkeiten hat die künstliche Fellnase einen klaren Vorteil: Sie kann auch in Bereichen mit strengen Hygienevorschriften eingesetzt werden, die für lebende Tiere tabu sind.

Pflegerobbe Paro
Bildrechte: PARO Robots U.S.

Care-o-bot 4

In Deutschland wird ebenfalls seit geraumer Zeit an Assistenzrobotern geforscht. Der Care-o-bot ist eine Entwicklung des Fraunhofer IPA und wird in der 4. Generation von dem Spin-off Mojin Robotics angeboten. Für den Healthcare-Bereich wirbt der Hersteller des Paul getauften Roboters zunächst mit Lotsen- oder Concierge-Funktionen: Der maschinelle Helfer könne in Einrichtungen Auskünfte oder Wegbeschreibungen ausgeben und den Fragenden zum gesuchten Ort begleiten. Auch eine Verbindung zu externen Diensten, z. B. einem Taxiruf, sei möglich.

Der Care-o-bot 4 bewegt sich ebenfalls frei im Raum und weicht Hindernissen dank Sensoren und Kameras selbstständig aus. Sein Aussehen erinnert dabei eher an eine überdimensionale Schachfigur als an einen Menschen. Im „Kopf“ ist ein Touch-Display verbaut, der wichtigste Kommunikationskanal mit Paul ist aber die natürliche Sprache. Auch das Erkennen und Interpretieren von Gestik und Mimik gehören zu seinem Repertoire. Pauls Vorteil ist außerdem der modulare Aufbau: Vom reinen Einsatz der Plattform zum automatisierten Transport bis hin zur vollständigen Ausstattung mit Displaykopf und Greifarmen ist vieles umsetzbar.

Im Rahmen von laufenden öffentlich geförderten Projekten werden weitere Fähigkeiten für den Care-o-bot 4 entwickelt. So soll der Roboter mit Hilfe seiner Greifarme bei der Bereitstellung von mundgerechtem Essen unterstützen. In einem weiteren Projekt lernt er, Körpersignale von Menschen noch besser zu erkennen, um dann proaktiv auf Interessierte zuzugehen und Aktivitäten wie Spiele vorzuschlagen. So soll eine für den Menschen natürliche Kommunikation ermöglicht werden. Ein SDK für externe Entwickler macht weitere Funktionen und Anpassungen möglich. Auf diese Weise wird der Care-o-bot Schritt für Schritt auch für körperlich eingeschränkte Menschen immer zugänglicher und damit zu einem echten Helfer.

Care-o-bot 4
Bildrechte: Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA

Spezielle Serviceroboter

Auch wenn man bei Robotern in der Pflege häufig an humanoide Maschinen denkt, welche direkt mit Pflegenden interagieren, sieht die tatsächliche Welt der Assistenzrobotik heute anders aus: Funktional gestaltete Maschinen, vom Staubsaugerroboter bis zum Warenwirtschaftssystem, erledigen autonom spezifische Aufgaben. Gerade solche Lösungen sind in der Lage, Pflegekräften Arbeiten abzunehmen, die sonst Zeit und körperliche Anstrengung kosten. Hierdurch wird Pflege nicht nur effizienter, sondern auch als Berufsbild attraktiver.

Eine große Rolle im Pflege- und Gesundheitsbereich spielt die einrichtungsinterne Logistik. Bereits 2008 wurde im Forschungsproject CASERO ein smarter Transportroboter für die Pflege erprobt. Tagsüber begleitete er die Mitarbeiter und nahm ihnen logistische Aufgaben wie Wäschetransport ab. Nachts ging er auf Patrouille in den Gängen und verständigte bei Auffälligkeiten das Personal. Heute sind autonome Transportsysteme diverser Größen am Markt verfügbar und werden in modernen Krankenhäusern eingesetzt. Das TRANSCAR LTC-2 des Schweizer Herstellers Swisslog oder der MiR100 aus Dänemark sind zwei solcher Produkte. Sie sind ebenfalls mit Sensorik ausgestattet, die freie Bewegung und Kommunikation mit anderen Systemen, z. B. Aufzügen, ermöglicht.

Eine andere logistische Herausforderung löst der Robear aus Japan. Der riesige Roboter-Teddybär ist darauf ausgelegt, mobil eingeschränkte Personen aus dem Bett zu heben und beim Aufstehen und Gehen zu unterstützen. Tätigkeiten, die sonst zu vielen Rückenschäden bei seinen menschlichen Kollegen führen. Die Gelenke und Sensoren des Bären mit den helfenden Armen sind speziell darauf ausgelegt, sehr sanfte Bewegungen zu machen. Bisher hat allerdings noch kein Robear den Weg in deutsche Pflegeeinrichtungen gefunden.

Der verständliche Wunsch vieler Älterer, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben, kann ebenfalls durch Roboter unterstützt werden. Dabei sind zunächst kleine Alltagshelfer interessant, die einen schnellen und preisgünstigen Weg in die Privathaushalte finden können. Ein Beispiel hierfür ist der MobiNa. Ebenfalls von der Fraunhofer Roboterschmiede IPA entwickelt, ist MobiNa eine modernisierte Version des Hausnotrufs. Durch ein stationäres System kann der Roboter erkennen, wenn eine Person im Haushalt gestürzt ist, selbstständig oder auf Aufforderung den Notruf wählen und ein Videotelefonat mit der Zentrale herstellen.

Fazit

Wie unsere Übersicht zeigt, gibt es spannende Ansätze für autonome Assistenzsysteme in der Pflege. Allerdings stehen sie einem Henne-Ei-Problem gegenüber. Drei Aussagen, die in diesem Zusammenhang häufig zu lesen sind, bedingen sich gegenseitig:

  • Die Technik sei nicht reif genug, um sofort für wirkliche Entlastung auf dem Arbeitsmarkt für Pflegekräfte zu sorgen.
  • Fragen des Datenschutzes in Verbindung mit ggf. erhobenen Gesundheitsdaten wären ungeklärt, ebenso die Fragen der Kostenabrechnung.
  • Pfleger ebenso wie Pflegende hätten ethische Bedenken und Berührungsängste.

Bedenken bezüglich der Nützlichkeit autonomer Systeme könnten ausgeräumt oder zumindest geklärt werden. Ebenso könnten weitere sinnvolle Anwendungen aus Bereichen der Diagnostik und Gesundheitsüberwachung die Fähigkeiten von Robotern ergänzen und so die Nützlichkeit erhöhen. Hierzu braucht es allerdings einer größeren Verbreitung der Technologie, um entsprechende Marktanreize zu schaffen.

Auch die Berührungsängste bei Pflegern und Pflegenden nehmen ab, wenn sie selbst im Alltag Erfahrungen sammeln dürfen. Darauf deuten die Ergebnisse bisheriger Projekte. Die Systeme zielen darauf ab, die Pflegekräfte sinnvoll zu unterstützen und nicht zu ersetzen. Für Nachwuchskräfte wird der Umgang mit ihnen selbstverständlich und steigert eher die Attraktivität des Pflegeberufsbildes.

Damit die Technik ihre vollen Möglichkeiten ausschöpfen und einen wertvollen Beitrag leisten kann, braucht es allerdings einen verlässlichen Rahmen. Für Pflegeeinrichtungen muss es finanzielle Anreize, ggf. in Form von Fördergeldern geben, wenn sie aktiv den Austausch suchen und sich an innovativen Projekten beteiligen. Daneben werden klare Regelungen des Datenschutzes benötigt, welche Persönlichkeitsrechte schützen und gleichzeitig Innovationen ermöglichen.

Werden die Herausforderungen aktiv angegangen, kann die Einführung automatisierter Helfer im Pflegealltag Schritt für Schritt gelingen.

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