Was hat das Rindfleischetikettierungs-überwachungsaufgabenübertragungsgesetz mit Beratung zu tun?
Dichter Nebel liegt über dem Tannhäuser See. Es ist 7 Uhr morgens und ich stehe entspannt auf der Terrasse meines Arbeitsdomizils, um in der Morgendämmerung meinen Kaffee zu schlürfen. So muss das Beraterleben sein, denke ich mir! Der See liegt im schönen Ostfriesland, dort wo andere Urlaub machen. Doch nur zum Vergnügen bin ich nicht hier, denn ich betreue hier ein IT-Projekt, welches die Entwicklung von Geschäftsprozessen zum Ziel hat.
Und damit endet bereits das Beraterklischee à la „gut bezahlter Urlaub in Ostfriesland“. Ich möchte Euch Geschichten und Erfahrungen aus meinem Berateralltag erzählen. Und sofern möglich, mit dem ein oder anderen ausgelutschten Klischee aufräumen.
Klischee 1: „Berater*innen sind teuer.“
Ein Klassiker ist, dass Berater*innen ja so unfassbar teuer sein sollen. Das letzte Mal als ich im privaten Kreis darüber berichtete, wie ich mit Kollegen in China nach einem anstrengenden Audit einer Produktionsanlage für Fahrzeugkomponenten abends koreanisches Barbecue gegessen und unseren gemeinsamen Erfolg gefeiert hatte, brach ein Sturm der Entrüstung los. „Ach hör auf! Das ist doch bestimmt teuer in so einem Nobelrestaurant und wer zahlt das eigentlich?!”
Aber ist das überhaupt die richtige Frage? Sollte es statt „was hat das Teamdinner gekostet“ nicht besser „wie viel Geld hat der Kunde durch den erfolgreichen Beratereinsatz gespart“ heißen? Die koreanischen Kollegen waren heilfroh, dass sie das Quality-Audit gut überstanden hatten. Und mein Auftraggeber wischte sich bei der Ergebnisverkündung die ein oder andere Schweißperle von der Stirn. Manchmal vergessen wir den Blick für das Ganze und reißen Events aus dem Kontext. So hängen bspw. von der richtlinienkonformen Produktion von Steuergeräten eines neues Fahrzeugmodells Investments in Millionenhöhe ab.
Klischee 2: „Berater*innen sind nur Feuerwehrmänner/-frauen.“
Ja, Berater*innen müssen unter Umständen wie welche agieren können. Das kann bedeuteten, dass wir nach nur sehr kurzer Einarbeitungszeit mit limitiertem Wissen über die Kundenorganisation Empfehlungen geben müssen. Ideal ist das definitiv nicht. Das gilt besonders dann, wenn der/die Berater*in nur das Konzept schreiben soll, aber nicht an der späteren Umsetzung beteiligt ist. Aber es geht auch anders.
Nach drei Jahren im Projekt stelle ich fest, dass längere Projekteinsätze Vorteile haben. Veränderungen können intensiver und nachhaltiger begleitet werden. Themen wie Prozessmanagement entwickeln sich leichter. Warum? Weil solch komplexe Themen Zeit brauchen. Um sie in den Köpfen der Kunden zu verankern und einen nachhaltigen Mehrwert zu generieren. Aber auch um gegen Vorurteile und Ängste zu kämpfen. Zudem müssen Projektmitstreiter nach wie vor ihrem Tagesgeschäft in der Linienorganisation nachgehen. Das erschwert die kontinuierliche Projektarbeit. Hingegen bieten längere Projekteinsätze zeitliche Flexibilität, sodass sich die Mitarbeiter*innen aktiv an dem Projekt beteiligen können, ohne dass andere Aufgaben vernachlässigt werden. Beratungsprojekte sind für mich nie eine One-Man-Show, sondern funktionieren nur in Teamarbeit.
Klischee 3: „Berater*innen sind austauschbar und generieren keinen Mehrwert.“
Wenn ich neu im Projekt starte, höre ich häufig die allseits bekannte Floskel: “Ach, da kommt der nächste Berater!” Übersetzt heißt das für mich so viel wie „sie kommen und gehen, die Probleme bleiben. Vielleicht nur in einem anderen PowerPoint-Master.“ Leider gelingt es unserem Berufsstand nicht immer nachhaltig, positive Spuren beim Kunden zu hinterlassen.
Und wenn man den Klischees glauben mag, dann hinterlassen Berater*innen vor allem eines: Eine Spur der Verwüstung. In Form von Mitarbeiterentlassungen oder Standortschließungen, um beispielsweise Kosten zu senken. Solche unliebsame Situationen können durchaus vorkommen, sind aber sehr selten. Oberstes Ziel ist es, diese Art der größtmöglichen Eskalation zu vermeiden. Dahingehend ist es von elementarer Bedeutung, den Mitarbeiter*innen zuzuhören und zu versuche ihre Ängste und Sorgen zu verstehen. Mir geht es in erster Linie darum, Mitarbeiter*innen zu motivieren und ihre Fähigkeiten und Kompetenzen optimal einzusetzen, sodass sie sich maximal an der Wertschöpfung im Unternehmen beteiligen können.
Am ersten Tag mag mein dunkler Berateranzug mit Krawatte in einer Softwareentwicklungsabteilung noch Schnappatmung auslösen. Aber spätestens nach der ersten Woche sollte jedem klar sein: Wir ziehen alle gemeinsam an einem Strang.
Klischee 4: „Beratung ist nur Folien malen.“
Berater*innen sind oftmals konzeptionell und „theorielastig“ unterwegs. Das kann durchaus Früchte tragen, denn vielen Kunden reichen bereits Lösungshinweise, Vorschläge zur Methodik oder sie brauchen Fachkonzepte für den Start ihres Projektes. Doch das „an die Hand nehmen“ und operativ durch ein Veränderungsprozess hindurchführen, kommt allzu oft zu kurz. Entweder machen es Mitarbeiter*innen, die in der Konzeptionsphase des Projekts nicht dabei waren oder keiner, weil es keinen gibt, der intern mit einem entsprechenden Mandat ausgestattet ist bzw. über die notwendige Methodenkompetenz verfügt. Das bedeutet im schlechtesten Fall: man zahlt einmal für die konzeptionelle Beratung und danach für das Scheitern bei der Umsetzung.
Klischee 5: "Immer dieses Beratersprech. Berater*innen versteht man nicht."
"Wir sind beim Kunden all over, twenty-four-seven. Die CIO-Slides bis eob, kein Deepdive.“ Die Parodie von Harry G trifft einen wahren Kern.
Die Sprache der Berater*innen ist vielfältig. Genauso wie die Themen, die sie mitbringen. Das führt bisweilen dazu, dass der Kunde den Fachjargon und verwendete Anglizismen nicht versteht. Diese Missverständnisse können ein großes Hindernis in der Kommunikation mit dem Kunden darstellen.
Unsere Aufgabe ist es, so schnell wie möglich die Sprache des Kunden zu sprechen. Das bedeutet etablierte Fachbegriffe des Kunden zu verwenden oder auch die relevanten Abkürzungen, zum Beispiel von Organisationseinheiten des Kunden zu kennen.
Was Berater*innen aber auch auszeichnet, ist die Fähigkeit, mit allen Managementbereichen auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Sie fungieren als Bindeglied bzw. Übersetzter von top zu bottom (da haben wir dieses Beratersprech schon wieder ...). Oftmals hilft es bereits, die Ideen von Projektmitarbeiter*innen neu zu verpacken, d. h. managementtauglich zu formulieren, damit sie Gehör finden.
Was macht Beratung für mich aus?
In der Beratung gibt es keinen Lösungsansatz, der den Projekterfolg garantiert. Zu viele Faktoren und Abhängigkeiten sind simultan zu berücksichtigen. Aber genau das macht diesen Beruf so spannend! Jede*r Berater*in muss den eigenen Weg finden und Erfahrungen sammeln. Mir hat die Rückbesinnung auf die Leitfrage „Was kann ich tun, um den Kundennutzen zu maximieren?“ geholfen, nicht auf dem Holzweg zu landen und einen groben Fahrplan vorgegeben.
Neben der Vernetzung mit den Stakeholdern in der Organisation des Kunden ist es wichtig, herauszufinden, ob es neben den initial besprochenen Themen noch weitere offensichtliche Schmerzpunkte gibt, die zur aktuellen Situation beigetragen haben. Der geübte Blick hinter die Kulissen und die wichtigen Flurgespräche machen das Gesamtbild klarer und leichter, mit dem Kunden ein Zielbild zu skizzieren. Ein Zielbild, welches den Kundennutzen in den Fokus stellt! Dabei geht es auch darum, dem Kunden gegenüber transparent zu machen, was er tun muss, um seine Projekte erfolgreich umzusetzen.
Aber nicht nur das Zielbild ist entscheidend, sondern auch der Weg dahin. Die klassische Beratung endet in der Regel an der Stelle, an der man den Kunden mit den richtigen Ideen und Impulsen ausgestattet hat. Vielleicht ruft man noch ein „Viel Glück!“ hinterher, aber das war es dann meistens auch schon.
Dabei ist nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dahin entscheidend für den Erfolg. Für mich gehört es dazu, dem Kunden einen Weg zu skizzieren. So spezifisch wie möglich, idealerweise flankiert von einem soliden Projektplan. Auch die organisatorischen Rahmenbedingungen müssen im Projektkontext bedacht werden. Hierbei spielen die aktive Beteiligung des Managements sowie die Mandate der beteiligten Stakeholder eine wesentliche Rolle. Wer ist für was zuständig? Wer darf und muss etwas im Laufe des Projekts entscheiden? Worin besteht die Mitwirkung und wann ist ein Handlungsmandat zu Ende? Anhand welcher KPIs bewerten wir den Projekterfolg?
Hübsche Blümchenfolien sind das eine, das andere sind die Lösungen. Lösungen, die immer individuell auf den Kunden zugeschnitten werden müssen. Je schneller dies gelingt, desto höher die intrinsische Motivation der Organisation das Vorhaben zu unterstützen und desto höher der Mehrwert für den Kunden.
Was nimmt man als Berater*in mit?
Das Beste an unserem Job? Man lernt nie aus. Damit meine ich nicht nur den Ausbau der fachlichen und methodischen Kompetenzen! Nein, es sind die kleinen, unerwarteten Dinge, die den Projekteinsatz versüßen. So hätte ich sicherlich nicht gedacht, ein Experte für ostfriesische Teekultur zu werden. Die dünnen Tässchen und die kleinen Löffelchen, mit denen man vorsichtig die Sahne in den Tee zittert. Oder auch das allgegenwärtige „Moin!“, welches einem entgegenschallt, ob morgens, mittags oder abends. Lokale kulinarische Spezialitäten, dienen als Inspiration, sich am eigenen Herd an der feinen ostfriesischen Küche zu probieren. Wenn man Vielseitigkeit und Abwechslung mag und keine Angst davor hat, regelmäßig aus seiner Komfortzone herauszutreten, kann das Berater*innenleben sehr viel Laune machen.
Inzwischen ist der Kaffee getrunken und die aufgehende Sonne spiegelt sich auf der Oberfläche des Sees, dessen Ufer knapp 10 Meter von meiner Projektwohnung entfernt ist, wider. Die Vögel zwitschern, mein Smartphone auch. Es erinnert mich daran, dass die erste Telefonkonferenz des Tages in einer halben Stunde beginnt. Wir sprechen dann über Virtual Reality. Die Fragestellung: Wie kann Virtual Reality sinnstiftend im Unternehmen zum Einsatz kommen? Es bleibt also spannend.
Bis dahin, bleiben sie neugierig und gesund.
Ach so, was hat denn nun "Rindfleischetikettierungs-überwachungsaufgabenübertragungsgesetz" mit Beratung zu tun?
Nichts, aber ein ehemaliger Projektkollege aus der technischen Redaktion - seines Zeichens Linguist und Germanist - der die Qualitätssicherung einzelner Prozessschrittbeschreibungen und die Entwicklung von Schreibkonventionen dazu begleitete, meinte eines Tages unter beispielhafter Verwendung dieses Begriffes, dass kürzere und leicht verständliche Fachbegriffe durchaus effektiver sind – und diese Einsicht auch für Berater*innen gelte. Wie recht er doch hat!