Die großen Themen der Verwaltungsdigitalisierung

Digitale Souveränität: Die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung ist alternativlos, aber ist sie auch selbstbestimmt?

Die Digitalisierung verändert alle Arbeitsbereiche, auch die der öffentlichen Verwaltung. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie gewinnt sie zusätzlich an Bedeutung und nimmt Geschwindigkeit auf. Noch nie waren wir so angewiesen auf digitale Technologien und ihre Weiterentwicklung. Doch der mit der Digitalisierung einhergehende Effizienzgewinn und der zunehmende Grad an Vernetzung erzeugen Abhängigkeiten und bergen damit Risiken für Europa, Bund, Länder und Kommunen.
In diesem Zusammenhang hat sich "Digitale Souveränität" als Schlüsselbegriff in der Debatte und die Bestrebungen hin zu einer digitalen Verwaltung etabliert.

Artikelreihe zu den Trendthemen der Öffentlichen Verwaltung

Dieser Artikel ist der erste einer vierteiligen Serie zu den wesentlichen Themen der Verwaltungsdigitalisierung. Heute beleuchten wir Digitale Souveränität.

Trendthemen Öffentliche Verwaltung

Digitale Souveränität gewinnt an Aufmerksamkeit

Definiert wird digitale Souveränität als „die Fähigkeiten und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen, ihre Rolle(n) in der digitalen Welt selbstständig, selbstbestimmt und sicher ausüben zu können“. Zielbild dahinter ist die technologische Unabhängigkeit Deutschlands und Europas, die Diversifikation des Software-Stacks und die Reduktion der Abhängigkeiten von einzelnen Unternehmen. Die Schmerzpunkte, die aus bestehenden Abhängigkeiten resultieren, sind vielfältig: Eingeschränkte Informationssicherheit, mangelnde Gewährleistung datenschutzrechtlicher Vorgaben, aber auch die Einflussnahme auf die Ausgestaltung von Software, damit einhergehende fremdgesteuerte Innovation und begrenzter Wettbewerb stehen im Fokus der Diskussion.
Innerhalb der öffentlichen Verwaltung in Deutschland hat das Thema Digitale Souveränität vor allem in den letzten eineinhalb Jahren erheblich an Popularität gewonnen. So setzten sich Bund, Länder und Kommunen im Frühjahr 2020 zum Ziel, die Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung gemeinsam zu stärken. Die Basis dafür bildet ein gemeinschaftlich erarbeiteter Handlungsrahmen, dessen Leitplanken die strategische Analyse von Abhängigkeiten und vergleichbaren Vorhaben, der Austausch mit Fachexperten und die gemeinsame Lösungskonzeption darstellen. Entscheidungen hinsichtlich des Einsatzes erarbeiteter Lösungen sollen in individueller Verantwortung der jeweiligen Verwaltungsebene getroffen werden. Die Zusammenarbeit auf allen Ebenen wird als elementar für das Vorhaben betrachtet.

Seitdem wächst die Aufmerksamkeit für das Thema stetig. Die Sicherung Digitaler Souveränität Deutschlands und Europas wird in Staatssekretär Richters 9-Punkte-Plan für ein Digitales Deutschland geführt. Der BITKOM identifiziert Digitale Souveränität als eines von vier zentralen Handlungsfeldern für die nächste Legislaturperiode, die digitale Dekade Deutschlands. Die Arbeitsgruppe Cloud Computing und Digitale Souveränität des IT-Planungsrats bildet Unterarbeitsgruppen und stellt einen Meilensteinplan für die nächsten Schritte zur Erarbeitung von Strategien und Maßnahmen vor. Auch auf Länderebene häufen sich die Initiativen. Zum Beispiel beabsichtigt die Landesregierung Schleswig-Holstein seine Software-Infrastruktur bis 2025 weitestgehend auf Open-Source-Lösungen umzustellen, Nordrhein-Westfalen plant den Aufbau einer zentralen Austauschplattform für Open-Source-Anwendungen, um die Voraussetzungen für den Einsatz im öffentlichen Sektor zu verbessern.

Leuchtturmprojekte und Umsetzungsschwierigkeiten

Aktuelle Bestrebungen beschränken sich allerdings häufig auf Willensbekundungen, die Umsetzung findet vor allem in einzelnen Leuchtturmprojekten statt. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht der Einsatz von Open-Source-Software als vorrangige Strategie zur Stärkung Digitaler Souveränität. Ein Beispiel dafür ist das noch kürzlich von Staatssekretär Richter auf Twitter beworbene Projekt Phoenix, in dem das Land Bremen gemeinsam mit dem öffentlichen IT-Dienstleister Dataport die Entwicklung eines webbasierten Open-Source Verwaltungsarbeitsplatzes vorantreibt. Das Projekt zielt dabei auf eine Multi-Vendor-Strategie ab: Nach der Bereitstellung der Grundfunktionalitäten soll das Open-Source-Angebot modular, von verschiedenen Dienstleistern, erweitert werden. Um eine Marktflexibilität zu gewährleisten, sollen die Lösungsmodule perspektivisch austauschbar sein.

Doch im Schatten der Leuchtturmprojekte und Willensbekundungen sind Hürden bei der Umsetzung dieser Bestrebungen erkennbar. Gerade auf kommunaler Ebene wird der Umstieg auf Open-Source-Software als schwierig empfunden. Jede Migration ist ein mutiger Schritt, der vor allem mit großem Zeitaufwand und erheblichen Folgekosten verbunden ist. Proprietäre Software weist in der Regel eine hohe Nutzerfreundlichkeit und Kompatibilität auf, sodass ihre Akzeptanz bei Anwenderinnen und Anwendern ein zusätzliches Hemmnis darstellt. Zudem fehlen Know-how und Kapazitäten, um geeignete Alternativen zu finden, diese zu erproben und weiterzuentwickeln. Kommunen fordern daher eine sukzessive Näherung zu mehr Digitaler Souveränität durch die Schaffung eines passenden Rechtsrahmens, stärkerer Vernetzung sowie finanzieller Unterstützung.

Fazit und Handlungsfelder

Alles in allem ist der Startschuss für die Selbstbestimmung der digitalen Verwaltung Deutschlands zwar gefallen, wir befinden uns allerdings auf dem ersten Kilometer eines Marathons. Aus den aktuellen Entwicklungen lassen sich im Wesentlichen folgende Handlungsfelder für den weiteren Weg ableiten:

  1. Digitale Souveränität operationalisieren
    Das größte Handlungsfeld besteht darin, identifizierte Lösungsansätze zu verfolgen und in die Umsetzung zu führen. Zwar hat die Sensibilisierung für Digitale Souveränität bereits begonnen, aktuelle Bestrebungen sind allerdings vor allem in der Konzeption von Strategien und Willensbekundungen auf der einen Seite und Pilotprojekten zur Einführung von Open-Source-Software auf der anderen Seite zu erkennen. Open-Source-Vorhaben wie Phoenix sind in naher Zukunft aber nicht reif für einen flächendeckenden Einsatz. Digitale Souveränität muss als Prozess verstanden werden, in dem es um kontinuierliche Evaluation und stetiges Vorankommen geht, um mit den Marktentwicklungen der digitalen Transformation mithalten zu können. Alternative, aktuell praktikablere Lösungsansätze wie die Diversifikation mit proprietärer Software, sollten daher höhere Beachtung finden und stärker parallel verfolgt werden.
  2. Lock-in-Effekte vermeiden
    Nutzerinnen und Nutzer werden an bestimmte Ökosysteme gewöhnt, die gleichzeitig so ausgestaltet sind, dass ein zukünftiger Wechsel zu anderer Software erschwert wird. Um Lock-in-Effekte zu vermeiden und die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern nachhaltig zu verringern, muss Digitale Souveränität konsequent mitgedacht und in Entscheidungen zur Auswahl und Ausgestaltung von Software berücksichtigt werden. Die aktuellen Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und Microsoft, die zu der Einführung von Microsoft Cloud-Diensten in der gesamten Bundesverwaltung führen könnten, verdeutlichen, wie schwierig es ist, geeignete Lösungen zu finden und den Vorsatz der Stärkung Digitaler Souveränität zu realisieren.
  3. Kompetenzen in der öffentlichen Verwaltung stärken
    Kompetenzaufbau ist die Basis für technologische Unabhängigkeit. Zum einen erfordert es IT-Fähigkeiten, um Trends zu verstehen, Potenziale zu erkennen und Lösungen in bestehende IT-Landschaften einzubetten. Zum anderen muss IT-Beschaffungs-Know-how aufgebaut werden, um geeignete Software identifizieren und in die Verwaltung integrieren zu können. Dafür ist eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Forschung und öffentlicher Hand sowie zwischen Bund, Ländern und Kommunen elementar und muss intensiviert werden. Vehikel dafür könnten die Föderale IT-Kooperation (FITKO) sowie die von Staatssekretär Richter geplante Digitalakademie als Ergänzung der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BaköV), darstellen.

Digitale Souveränität muss folglich im Zusammenhang mit anderen Themen und Maßnahmen der Bundesregierung gedacht werden. Das Großprojekt "IT-Konsolidierung Bund" beschäftigt sich damit, die IT des Bundes bis 2025 zu bündeln und zu standardisieren. Dieser Prozess der Zentralisierung scheint auf der einen Seite die Digitale Souveränität Deutschlands weiter einzuschränken, schafft auf der anderen Seite aber Chancen, den Einsatz von Software-Produkten und Dienstleistern gezielt zu steuern. Doch dazu nächste Woche mehr.

Artikel von:
Chira Hartwig, Senior Consultant, Cassini Consulting AG
Chira Hartwig
Senior Consultant
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