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Kognitive Ergonomie – Damit Arbeitsaufgaben nicht zu Motivationskillern werden. 

In unserer Arbeitswelt braucht es ein perfektes Zusammenspiel von Mensch und Technik. Doch wie funktioniert das? Und welchen Einfluss haben unsere mentalen und kognitiven Fähigkeiten dabei? Dieser Artikel zeigt Grenzen und Potenziale auf und gibt Tipps für den Berufsalltag.

Grundsätzlich fällt uns Menschen das Arbeiten leichter, wenn die dabei zu erledigenden Aufgaben auf die individuellen Stärken ausgelegt sind. Unternehmen sehen sich zunehmend in der Verantwortung, diesen Bedürfnissen der Mitarbeitenden Rechnung zu tragen. Doch gerade an den Schnittstellen zwischen Mensch und Technik können Frustrationen aufkommen. Anwendende benötigen die Kompetenzen und Fähigkeiten, das notwendige System zu bedienen. Das kann nur dann bestmöglich umgesetzt werden, wenn bereits bei der Maschinen- und Systemgestaltung auf die kognitiven Rahmenbedingungen, denen wir alle ausgeliefert sind, geachtet wird. Auch im kleinen Rahmen, wie beispielsweise der Bildschirm-Arbeitsplatz-Gestaltung, kann bereits ein großer Impact auf die Arbeitsqualität und Zufriedenheit erreichet werden, wenn man sich der kognitiven Ergonomie bedient. 

Die Wissenschaft der kognitiven Ergonomie zielt darauf ab, Umwelt, Organisationen und Werkzeuge an die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Grenzen von Mitarbeitenden anzupassen und bezieht sich dabei hauptsächlich auf die Mensch-Technik-Interaktion. Die aktuellen Forschungen [1] können dabei im Berufsalltag von großem Nutzen sein und branchenunabhängig Anwendung finden, um Produktivität und Zufriedenheit zu verbessern.

Wer erledigt welche Aufgaben besser?

Menschen und Maschinen haben unterschiedliche Stärken und Schwächen, die man sich zu nutzen machen kann. Einem darauf ausgelegten Rechner fällt es sehr leicht, große Rechenoperationen mit vielen Variablen durchzuführen. Eine komplexe oder emotionale Situation kann jedoch nur durch einen Menschen verstanden und passend gehandhabt werden. Menschen sind in ihrer Feinmotorik und hohen Sensitivität bisher unschlagbar. Die menschliche Lernfähigkeit sorgt dafür, dass wir flexibel und adaptiv auf alle Arten von Situationen reagieren, selbst wenn wir diese noch nie erlebt haben. Die Fähigkeit, zielgerichtet zu handeln und zu planen, unterscheidet uns ebenfalls deutlich von den Möglichkeiten einer Maschine. Jedoch haben Menschen nur eine begrenzte Verarbeitungskapazität im Arbeitsgedächtnis und vergleichsweise enorme Speicherbeschränkungen bezüglich Massendaten. Wir sind stressanfällig und brauchen Pausen, denn wir ermüden. Themen, bei denen uns die Technik bereits heute Voraus ist. 

Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung von Personen sind größtenteils bereits in der Kindheit erworbene kognitive Faktoren. Dazu gehören Erwartungen und mentale Modelle, die jedem in seinem Unterbewusstsein innewohnen. Umgangssprachlich würde man sagen: „Man sieht eben nur das, was man sehen will.“ Ebenso beeinflussen die verstandenen Aufgabenziele, aufgrund derer die Bearbeitung begonnen wird, stark den Output einer erledigten Aufgabe. Ein vorhandener Interpretationsspielraum wird immer genutzt werden. 

Der gegebenen Beeinflussung durch diese Faktoren kann mithilfe von gezielten Trainings in den Aufgabenbereichen entgegengewirkt werden.

Aufmerksamkeit und Fokussierung entscheiden über Kosten

Die menschliche Aufmerksamkeit ist begrenzt und wird im visuellen Kontext häufig mit einem Scheinwerfer verglichen. Das sogenannte Useful Field of View beschreibt dabei das kreisförmige Areal um den Fixationspunkt der Augen, aus dem Informationen zur Verarbeitung herangezogen werden. Die Größe dieses Sichtfeldes ist abhängig von der abgebildeten Informationsdichte und wie gut die Informationen zu unterscheiden sind, außerdem vom Alter und Training der Person sowie der eigentlichen Aufgabenschwierigkeit. 

Bei der Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes hat das Useful Field of View eine hohe Auswirkung auf die Kosten, die durch die Entfernung zwischen zwei Informationsquellen liegt. Die Kosten steigen mit der Entfernung von Augenbewegungen, Nacken- und Oberkörperdrehungen exponentiell an. Es ist somit ratsam, dass beim Einrichten beispielsweise von Nutzeroberflächen die Notizen mit Inhalten direkt neben die zu erstellende Präsentation abgebildet werden, um eine Drehung des Körpers zu vermeiden.

Hohe Aufmerksamkeit mit guter Fokussierung kann immer nur auf ein Ereignis gleichzeitig gelenkt werden, aufgrund dessen spricht man auch von selektiver Aufmerksamkeit. Die sogenannte geteilte Aufmerksamkeit, auch als Multi Tasking bekannt, geht gemindert und einem schnellen Wechsel des Fokus einher. Eine echte Parallelisierung von Aufgaben, die abgearbeitet werden müssen, ist nicht möglich. Es erfordert einen hohen Grad an Automatisierung durch technische/ maschinelle Komponenten des Systems und/ oder eine optimale Aufteilung bei dem Wechsel zwischen den Aufgaben, um Leistungseinbußen und insbesondere das Verpassen von Informationen zu vermeiden. Die Verarbeitungskosten steigen durch das regelmäßige Wechseln zwischen den Aufgaben stark an. Es ist daher immer ratsam, Aufgaben nacheinander abzuarbeiten und nicht gleichzeitig, wenn es nicht absolut notwendig ist.

Das Arbeitsgedächtnis richtig nutzen

Sollte eine Abarbeitung nacheinander nicht möglich sein, kann man sich den Aufbau des Arbeitsgedächtnisses (vgl. Abbildung 1) zunutze machen. Nach Alan D. Baddeley wird dieses in vier unterschiedliche Subsysteme teilt. Dazu gehören der visuell-räumlichen Notizblock, in dem Informationen über räumliche Lage, Wege und visuellen Input wie Zeichnungen und Modelle festgehalten werden. In der phonologischen Schleife werden Informationen in sprachlicher/ phonetischer Form wie Wörtern oder Klängen (auditiver Code) repräsentiert. Unser Arbeitsgedächtnis kann damit sogenannte Chunks (Informationsklumpen) wiederholen, um sich zum Beispiel einen PIN oder eine Raumnummer für einen kurzen Zeitraum zu merken. Der episodische Puffer kann in sogenannten Episoden einzelne Aufgaben des Arbeitsgedächtnis miteinander verknüpfen. Das passiert durch die Steuerung der zentralen Exekutive, dem vierten Subsystem.

Aufbau Arbeitsgedächtnis
Abbildung 1: Aufbau Arbeitsgedächtnis nach Alan D. Baddeley (2000/ 2001)

Um das Arbeitsgedächtnis bei seinen Tätigkeiten zu entlasten, können Aufgaben auf diese unterschiedlichen Systeme verteilt werden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Ansagen in einem Navigationsgerät. Da Fahrzeugführende während der Fahrt auf die Straße und den Verkehr achten müssen, ist das Erfassen von den visuellen Informationen eines Navis für den visuell-räumlichen Notizblock eine doppelte Belastung (genannt Interferenz). Um diese Belastung zu verringern und die Auffassung vom Arbeitsgedächtnis zu unterstützen, werden akustische Informationen zur Fahrt an den Fahrenden übermittelt, welche im phonologischen Speicher verarbeitet werden. Dieses Nutzen von zwei unterschiedlichen Subsystemen nennt sich Timesharing. 

Verbesserte Nutzung Arbeitsgedächtnis
Abbildung 2: verbesserte Nutzung des Arbeitsgedächtnisses

Fazit

Aus der kognitiven Ergonomie ergeben sich also folgende sinnvolle Tipps und Learnings für den Berufsalltag: 

  • Die Stärken von Menschen und Maschine nutzen
    Menschen verstehen Emotionen und können komplexe Sachverhalte und Probleme nachvollziehen. Nur durch diese Fähigkeit sind sie in der Lage, Strategien zu entwickeln, Risiken zu erkennen und sich neue Lösungen zu überlegen. Maschinen hingegen ermüden nie und können beispielweise Rechenaufgaben übernehmen, die im Kopf nicht mehr lösbar wären. 
    Hält man sich diese grobe Abgrenzung der Fähigkeiten vor Augen, würde man niemals einem Rechner das Schlichten eines Konflikts abverlangen. Wohingegen man Maschinen immer zur Unterstützung der menschlichen Fähigkeiten einsetzen sollte. 
  • Auf die Limitierung des menschlichen Fokus achten
    Wir können Informationen immer nur selektiv aufnehmen, wenn also unser Fokus auf ihnen liegt. Bei Workshops, Schulungen, Vorträgen oder auch dem gemeinsamen Business Lunch im Büro kann man darauf achten, dass man seine Gegenüber nicht mit zu vielen Informationen gleichzeitig überlädt. Klassisches Beispiel sind dabei völlig überladene Präsentationsfolien, die die komplette Aufmerksamkeit der Zuhörenden bindet, anstatt den Vortragenden zu unterstützen. 
  • Gemeinsame Werte schaffen
    Trainings im Team und in Bezug auf Aufgabenbereiche helfen jedem Mitarbeitenden, das gleiche Ziel mit der passenden Qualität zu vermitteln. Angewendete mentale Modelle werden durch Trainings im Methodenbereich und insbesondere durch ein gutes Onboarding minimiert. 
  • Tricks für das Arbeitsgedächtnis
    Es ist leichter, sich eine visuelle und eine auditive Information gleichzeitig zu merken als zwei visuelle Informationen, da unser Arbeitsgedächtnis in unterschiedliche Bereiche eingeteilt ist. So ist es immer viel leichter, in einer Video-Konferenz zu erklären, was man beschreibt, indem man Screensharing nutzt und zeigt, was gemeint ist. 

[1] Wickens et al. (2012)

Artikel von:
Lucia Ney, Cassini Consulting AG
Lucia Ney
Consultant
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