EILT SEHR, Betrifft: Projektportfoliomanagement
Die öffentliche Verwaltung steht im Rahmen der Digitalisierung vor der Herausforderung, in einem hochdynamischen Umfeld mit sehr knappen Ressourcen die richtigen Projekte, möglichst effizient und über alle Interessengruppen (Stakeholder) sowie auf konkrete Ziele abgestimmt, durchzuführen, um den eigenen Anforderungen sowie denen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Mit dem Portfoliomanagement behalten Sie dabei Überblick und Kontrolle über die Gesamtheit aller Vorhaben. Im Praxistipp erfahren Sie, wie Sie Ihre Projekte richtig priorisieren.
IT-Konsolidierung Bund, Onlinezugangsgesetz und neuerdings auch diverse „Bundesmaßnahmen“ – an der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung wird nicht erst seit der Pandemie mit Hochdruck gearbeitet. Dabei werden Summen in Milliardenhöhe in große Programme investiert, die die Digitalisierung sowohl ressort- als auch ebenen-übergreifend in den einzelnen Ministerien und Behörden auf Bundes- und Landesebene sowie in den Kommunen vorantreiben sollen.
Die Vielzahl der durch die kürzlichen Konjunkturpakete gestarteten Projekte, die ohnehin laufenden Projekte und Programme sowie teilweise fehlende konsistente Strategien und Erfolgskriterien führen mitunter zu unangenehmen Nebenwirkungen und neuen Herausforderungen:
- Der Überblick über die aktuelle Projektlandschaft geht aufgrund der Vielzahl von Aktivitäten verloren. Wichtiges kann nicht von weniger Wichtigem unterschieden werden.
- Durch stark verdichtetes oder methodisch unzureichend unterfüttertes Reporting fehlt des Weiteren Transparenz über konkrete Projektinhalte und -fortschritte und somit die Grundlage für die effiziente Steuerung der Maßnahmen.
- Langzeitprojekte werden über die Zeit „too big to fail“ und laufen meist ohne erneute Nutzenüberprüfung weiter. Investitionsruinen können die Folge sein.
- Aufgrund zu großer Projekt-Scopes reichen Haushaltsmittel nicht aus oder fließen aufgrund zu geringer Kapazitäten der Dienstleister- und Lieferantenseite (bspw. Chipmangel, IT-Fachkräfte) nicht ab.
- Aufgrund fehlender formaler und methodischer Projektstandards kommt es zu „Reibungsverlusten“ – Projekte werden verwaltet und nicht gesteuert.
- Die meist über mehrere Haushaltsjahre geplanten Maßnahmen halten mit der vorherrschenden Entwicklungsdynamik der Informationstechnologie und Methodik nicht Schritt. Manche Lösung ist schon bei Fertigstellung veraltet.
- Die IT-Dienstleister des Bundes, oftmals ausgerichtet auf die Bereitstellung von Standardlösungen aus dem Regal, sind mit den Anforderungen hochspezialisierter Fachverfahren (Eigenentwicklungen) gegebenenfalls überlastet.
Alle diese Herausforderungen binden Kapazitäten und Ressourcen und verlangsamen in Summe die Digitalisierung der deutschen Verwaltung.
Ziel muss es jedoch sein,
- die Digitalisierungsbedarfe zu strukturieren und (schaffbare) Projekte daraus abzuleiten,
- die Projekte anhand transparenter, auf Nutzenstiftung (Priorität auf Outcome, nicht Output) ausgerichteter Kriterien zu priorisieren,
- die Haushaltsmittel- und Stellenallokation mit Blick auf vorgenannte Kriterien zu optimieren und
- die entsprechend ausgewählten Projekte planmäßig und effizient umzusetzen.
Wie kann das gelingen?
Projektportfoliomanagement schafft mehr Überblick und Kontrolle
Während das Projektmanagement sich auf die Steuerung eines einzelnen Projektes bezieht, nimmt das Portfoliomanagement die Gesamtheit der Projekte einer Organisation – das Projektportfolio – in den Blick. Projektportfoliomanagement realisiert durch fortlaufende Analyse der Projektlandschaft die richtige Mischung an Projekten mit Blick auf die prioritären Ziele einer Organisation. Zu den Aufgaben des Projektportfoliomanagements gehören die fortlaufende Planung, an Organisationszielen (und Bedarfen) ausgerichtete Priorisierung der Projekte, die übergreifende Überwachung und Steuerung der Projektaktivitäten. Anders als das Projektmanagement endet das Projektportfoliomanagement nicht mit dem Projektabschluss, sondern, einmal etabliert, ist es eine Daueraufgabe, welche die nötige Aufmerksamkeit der Führungsebene als auch eine angemessene Ressourcenausstattung benötigt.
Wurde ein Projektportfoliomanagement einmal erfolgreich eingeführt, können viele Vorteile realisiert werden:
- Ausrichtung aller Maßnahmen an der zuvor festgelegten konsistenten Strategie
- Aktives Management von Chancen und Risiken
- Ausrichtung der Projektlandschaft auf Nutzenrealisierung und Vermeidung von redundanten Aktivitäten
- Transparente und nachvollziehbare Entscheidungen
- Optimierte Ressourcenplanung und Haushaltsmittelallokation
- Sammlung von Erfahrungswerten (Lessons Learned) über die Zeit und dadurch Optimierung von Prozessen
- Grundlage für Planbarkeit in der Organisation und Steuerungsfähigkeit der Projekte
- Standardisierte Portfolio-Prozesse/ -Berichte/ -Methoden/ -Tools zur Projektgenese und -genehmigung
Die Einführung eines konsistenten Projektportfoliomanagements ist ein komplexer Prozess, dem wir uns ein anderes Mal widmen möchten. Ein Kernbestandteil aus unserer Sicht ist jedoch die richtige Priorisierung von Projekten mit Blick auf die Organisationsziele. Diesen Aspekt möchten wir hier näher betrachten.
Praxistipps: Projekte richtig priorisieren
Eine wichtige Komponente im Portfoliomanagement ist die Priorisierung der Projekte. Notwendig wird die Priorisierung, da in Organisationen nur eine begrenzte Menge an finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung steht. Übersteigt nun der Umsetzungsbedarf die verfügbaren Ressourcen, ist es notwendig, eine Reihenfolge festzulegen, also eine Priorisierung vorzunehmen.
Die Projektlandschaft einer Organisation unterliegt jedoch, wie Einzelprojekte auch, externen Einflussfaktoren, die eine einmal festgelegte Umsetzungsreihenfolge durcheinanderwerfen können. Dies trifft auch und in besonderem Maße auf Projektlandschaften in der öffentlichen Verwaltung zu.
Folgende Faktoren führen vor allem in der öffentlichen Verwaltung zu einer hohen Dynamik in IT-Projekten:
- Ad-hoc-Projekte („Querschläger“) – prioritäre Projekte, die zu Beginn der Planungsperiode nicht absehbar sind – bspw. Notlagen wie die aktuelle Pandemie, Naturkatastrophen etc.
- Politische Einflüsse – unmittelbare Priorisierung einzelner Vorhaben durch neue gesetzliche Vorgaben oder tagesaktuelle politische Relevanz
- Technologischer und prozessualer Rückstand der Verwaltung auf die Wirtschaft, welcher zu hohem Umsetzungsdruck in den Behörden führt.
Durch die so entstehende Änderungsdynamik wird eine unstrukturierte Portfoliosteuerung schnell chaotisch und die Herleitung der Ressourcenverteilung ist für Projektbeteiligte schwierig nachvollziehbar. Langfristig kann dies, insbesondere bei Projektleitungen, zu Motivationsverlust oder schlimmer noch, zum Scheitern oder Stillstand einzelner Projekte führen.
Die Etablierung eines effizienten und nachvollziehbaren Prozesses der Priorisierung sollte deshalb, neben der Nutzenmaximierung des Portfolios insgesamt, Ziel eines erfolgreichen Projektportfoliomanagements sein, um den Volatilitäten der Projektlandschaft angemessen entgegen treten zu können.
Als Methodik für eine transparente Bewertung aller Projektvorhaben hat sich unter anderem die Anwendung eines einheitlichen Scoringmodells bewährt. Bei dieser Priorisierungsmethodik werden Vorhaben nach mehreren (organisationsspezifischen) Kriterien bewertet. Somit werden Projekte auf einer Sachebene miteinander verglichen und somit subjektive Einflüsse von Einzelinstanzen reduziert. Zusätzlich können die einzelnen Bewertungskriterien gewichtet werden, um besonders relevante Kriterien stärker zu berücksichtigen. Anhand der sich ergebenden Bewertungskennziffer können Projekte unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen sukzessive freigegeben werden, bis die Kapazitätsgrenze der Organisation oder ein hinreichend hoher Grad an Nutzenrealisierung eingetreten ist. Beispiele für relevante Bewertungskriterien für IT-Projekte in der öffentlichen Verwaltung können Sie dem Infokasten entnehmen.
Ein Vorteil bei der Nutzung eines Scoringmodells gegenüber einem einfachen Ranking der Projekte, bei dem die Priorisierung anhand von ein bis zwei Kennzahlen (bspw. Haushaltsmittelbedarf, Dauer, Ressourcenallokation) durchgeführt wird, ist die vielseitige Bewertung der einzelnen Projekte. Da in der öffentlichen Verwaltung häufig viele Projekte unterschiedlicher Projekttypen (z.B. Digitalisierung Fachverfahren, Infrastrukturprojekte) durchgeführt werden, erfolgt die Priorisierung somit insgesamt nutzenmaximierender für die Gesamtorganisation.
Des Weiteren sollte die Überprüfung der aktuellen Projektlandschaft regelmäßig auch unterjährig erfolgen (bspw. quartalsweise), um eventuell auftretenden Einflüssen frühzeitig Rechnung zu tragen und die Ressourcenauslastung zu optimieren. Unterjährige Einflüsse können bspw. Projektänderungsanträge, Ad-hoc-Projekte oder eine veränderte Ressourcenlage sein.
Die Frequenz der Repriorisierungs-Überprüfungen kann von monatlich bis halbjährlich reichen und hängt vor allem vom Grad der Änderungsdynamik innerhalb der Projektportfolios ab.
Ganzheitliche Projektpriorisierung einführen und zum Portfoliomanagement ausbauen
Eine wesentliche Grundlage des Portfoliomanagements ist die ex ante Bewertung der Vorhaben anhand eines zuvor festgelegten Kriterienkataloges. Die Bewertung sollte immer auf die Nutzenstiftung bzw. den Wertbeitrag eines jeden Projektes abzielen. Einige Beispiele für Bewertungskriterien finden sich im Kasten unten. Ausgerichtet an der Kapazität der Organisation kann so der richtige Mix an (schaffbaren) Projekten realisiert werden. Im Zeitverlauf kann der Priorisierungsprozess wiederholt und Schritt für Schritt durch die Ergänzung von Planungsmetriken, Steuerungsheuristiken und Reportingstrukturen zu einem ganzheitlichen Portfoliomanagement aufgebaut werden. So kann es gelingen, im Rahmen öffentlicher IT-Projekte den (richtigen) Grip auf die Straße zu bringen.
Priorisierungskriterien für IT-Projekte in der öffentlichen Verwaltung
Beziehen Sie in die Bewertung neben den Muss-Kriterien solche ein, die der Strategie, dem Nutzen, den Rahmenbedingungen oder den Risiken Rechnung tragen. Einige Beispiele haben wir für Sie zusammengestellt.
Priorisierungskriterien für IT-Projekte in der öffentlichen Verwaltung
Beziehen Sie in die Bewertung neben den Muss-Kriterien solche ein, die der Strategie, dem Nutzen, den Rahmenbedingungen oder den Risiken Rechnung tragen. Einige Beispiele haben wir für Sie zusammengestellt.
Muss-Kriterien
- Gesetzliche oder juristische Vorgaben inkl. Zieldatum – Es besteht eine gesetzliche Umsetzungspflicht inkl. zeitlicher Befristung.
- Betriebskritische Projekte – Die Projekte dienen der Aufrechterhaltung der aktuellen (kritischen) Infrastruktur und Dienste.
- Politische Vorgabe – Keine gesetzliche Verpflichtung, jedoch auf Grund politischer Entscheidungsfindung verpflichtende Umsetzung eines Vorhabens (meist unmittelbar, bspw. Bestandteil eines Koalitionsvertrages)
Weitere Bewertungskriterien
Strategie
- Beitrag zu IT-Strategie
- Beitrag zur digitalen Souveränität
- Beitrag zur Hausstrategie
- Beitrag Konsolidierung BUND oder andere übergreifende Maßnahmen
- Außenwirkung
- […]
Nutzen
- Optimierung laufender Fachverfahren
- Konformität zur IT-Architekturrichtlinie
- Wirtschaftlichkeit (WiBe!)
- Anzahl betroffene Mitarbeitende
- […]
Rahmenbedingungen
- Ressourcenaufwand
- Laufzeit
- Abhängigkeiten (bspw. BSI-Produktzulassungen)
- Inhaltliche Komplexität
- Organisatorische Komplexität (Anzahl involvierter Behörden)
- […]
Risiken
- Dringlichkeit / Gesetzliche Fristen (bspw. Betriebserhaltung)
- Konformität zum IT-Grundschutz
- Konformität zum Datenschutz
- Kapazitäten der verwaltungseigenen IT-Dienstleister
- Investitionsschutz*
- […]
* Investitionsschutz wird häufig als quasi Muss-Kriterium genutzt. Dies sollte jedoch zur Vermeidung von unkontrollierten Investitionsruinen vermieden werden.