Quantencomputer – von der Theorie zur Praxis, einfach erklärt
Rechnen mit Schrödingers Katze

Quantencomputer – von der Theorie zur Praxis, einfach erklärt

Kann eine Katze gleichzeitig lebendig und tot sein? Sie kann! Und zwar nach einem Gedankenexperiment des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger (1887 – 1961). Er gilt als einer der Begründer der Quantenmechanik und lieferte wichtige Grundlagen für die Entwicklung des Quantencomputers – dessen leistungsfähigste Modelle jüngst von IBM und Google medienwirksam gefeiert wurden. In diesem Beitrag machen wir Sie mit den Grundlagen eines Quantencomputers vertraut, und zwar ohne tief in die Wissenschaft abzutauchen. 

 Erfahren Sie in diesem Artikel:

  • warum Schrödigers Experiment Maßstäbe setzte 
  • was Qubits sind und was sie von Bits unterscheidet 
  • wie man Qubits erzeugt 
  • wie man mit Qubits rechnet 
  • welche Quantencomputer Sie kennen sollten 
  • welche praktische Bedeutung Quantencomputer besitzen können 

Schrödingers Katze

Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: In einer kleinen Stahlkammer sitzt eine Katze, neben ihr liegen eine winzige Menge an schwach radioaktivem Material, ein Geigerzähler sowie eine Flasche mit tödlichem Gas. Der Geigerzähler ist so eingestellt, dass er unmittelbar nach der Detektion eines radioaktiven Teilchens über ein Relais die Gasflasche öffnet. Da das radioaktive Material so schwach strahlt, dass nur gelegentlich ein Teilchen abgegeben wird, ist der Tod der Katze zeitlich nicht vorhersehbar. 
Sie schließen nun die Stahlkammer und warten eine Minute. Frage: Lebt die Katze dann noch oder wurde sie bereits vergiftet? Antwort: Nach menschlichem Ermessen wäre beides möglich. Anders in der Quantenphysik, nach deren Grundsätzen ist die Katze sowohl tot als auch lebendig. Denn neben den beiden Zuständen „tot“ und „lebendig“ gibt es noch einen dritten Zustand, der beide Eigenschaft gleichzeitig umfasst und der mathematisch mit einer Wellenfunktion beschrieben wird. Diesen Zustand nennen Physiker „kohärente Überlagerung“ oder auch „Superposition“. 

Wenn Sie nun die Stahlkammer öffnen und nachsehen, ob die Katze noch lebt, bricht die kohärente Überlagerung sofort zusammen. Sie haben mit dem Nachsehen eine Messung ausgelöst – und das hat laut der Quantentheorie die Wellenfunktion der Superposition zum Kollabieren gebracht. 

Was das mit einem Quantencomputer zu tun hat? Eine ganze Menge …

Zwischen 0 und 1

Computer sind bekanntlich dumm, sie kennen nur zwei Ziffern: 0 und 1. Die stehen für „Aus“ und „Ein“ oder auch „niedrige Spannung“ und „hohe Spannung“. Damit Computer überhaupt funktionieren, müssen höhere Zahlen in diese beiden Werte übersetzt werden – einfach dadurch, dass man viele Nullen und Einsen hintereinander setzt. Die Reihenfolge orientiert sich am Faktor zwei und sieht dezimal beispielsweise so aus: 128 64 32 16 8 4 2 1. Es wird von rechts nach links also immer das Doppelte eingesetzt und schlicht addiert. Im Binärsystem steht für jede der acht Stellen entweder 0 oder 1 – binär 10101010 entspricht im Dezimalsystem also 170 (2 + 8 + 32 + 128). Ein solch achtstelliger Wert ist ein Byte, jede einzelne Stelle ein Bit. 11111111 ergibt 255, 00000000 ergibt 0, insgesamt kann ein Byte also 256 Werte einnehmen. 

Der Nachteil: Das Übersetzen natürlicher Zahlen in Nullen und Einsen – also das Erzeugen und Berechnen der Bits – erfordert Zeit. Auch der schnellste konventionelle Computer kann Anweisungen nur hintereinander und nicht parallel abarbeiten (auch wenn es manchmal den Anschein erweckt). 

Kommen wir zurück zu Schrödingers Katze und wenden die „kohärente Überlagerung“ auf die beiden Bit-Zustände 0 und 1 an. Damit kann ein Bit gleichzeitig sowohl 0 als auch 1 repräsentieren und wird erst durch eine Messung seinen exakten Wert verraten. Genau dies geschieht in Quantencomputern, deren Bits dementsprechend mit Quanten-Bits oder kurz Qubits bezeichnet werden. 

So erzeugt man Qubits

Im Gegensatz zu klassischen Bits, die lediglich als Maßeinheit für den Informationsgehalt dienen, existieren Qubits wirklich, beispielsweise als Photonen (Lichtteilchen). Sie entstehen durch Bestrahlen eines Kristalls mit Laserimpulsen einer bestimmten Energie. Der Kristall erzeugt dabei zwei Photonen, die durch den gemeinsamen Entstehungsprozess miteinander verbunden („verschränkt“) sind. Das Eigenartige: Beide Lichtteilchen enthalten den eigenen und den Zustand des anderen Photons, zum Beispiel die Ausbreitungsrichtung der Welle (zur Info: Licht besteht gleichzeitig aus Wellen und Teilchen). Es handelt sich also auch hier um eine kohärente Überlagerung, die sich durch eine Messung als 0 oder 1 interpretieren lassen. 

Auch zweiatomige Moleküle wie Wasserstoff, Stickstoff oder Sauerstoff lassen sich in Qubits verwandeln, ebenfalls durch Beschuss mit einem Laser. Die Moleküle zerfallen dabei in ihre beiden Atome, die wie die Photonen miteinander verschränkt sind und gegenläufige Drehrichtungen (Spin-up und Spin-down) besitzen. Erst die Messung durch einen Laserimpuls verrät, welches Atom sich in welche Richtung dreht und als 1 oder 0 zu behandeln ist. 

Logische Schlussfolgerung des Ganzen: Wenn die Messung eines Qubits 1 ergibt, wird sein Pendant immer 0 ergeben. Umgekehrt genauso. Dabei ist es völlig egal, wie weit die beiden Qubits voneinander entfernt sind. Ein Qubit könnte sich in Berlin befinden, das andere in New York. Wird das Berliner Qubit mit 0 gemessen, ergibt das in New York automatisch 1. Und zwar ohne jegliche Zeitverzögerung. Das haben Experimente mit Distanzen von einigen Kilometern schon mehrfach bewiesen. Albert Einstein brachte diese „Quanten-Teleportation“ übrigens zur Verzweiflung, da sie der Relativitätstheorie widerspricht. Er nannte es „spukhafte Fernwirkung“, schließlich könnten sich Informationen nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzen … 

Rechnen mit Qubits

Wie wir gesehen haben, arbeiten auch Quantencomputer und deren Qubits mit den Zuständen 1 und 0. Das ist aber nicht die einzige Gemeinsamkeit mit konventionellen Rechnern. Um mit Binärwerten zu arbeiten, sind auch hier „Rechenwerke“ nötig, sogenannte Gatter. Normale Computer verwenden dazu elektronische Bauteile wie Transistoren, die Gatter in Quantencomputern sind dagegen lediglich mathematische Operationen an den Qubits. Sie steuern beispielsweise die Dauer der Bestrahlung mit dem Laser und die Frequenz der Wellenlänge. 

Die am häufigsten verwendeten Rechenwerke sind das Hadamard- und das CNOT-Gatter. Ersteres überführt die Nullen und Einsen der Qubits in überlagerte Zustände, während das CNOT-Gatter mit zwei Qubits (Kontroll- und Ziel-Qubit) arbeitet und aus einer gemessenen 1 eine 0, beziehungsweise aus einer 0 eine 1 macht. 

Grundsätzlich gilt: Je mehr Qubits vorhanden sind, desto schneller wird gerechnet. Als praktikable Untergrenze gelten mittlerweile 20 Qubits. Das Auslesen der Qubits erfolgt zudem nicht nacheinander, sondern parallel, einer der wichtigsten Unterschiede zu konventionellen Computern. Im Gegensatz zu konventionellen Computern arbeiten Quantencomputer nicht mit konkreten Werten, sondern mit Wahrscheinlichkeiten. Dazu ein Beispiel: Nehmen Sie einen gezinkten Würfel, der die 6 bevorzugt und notieren Sie die geworfenen Zahlen. Nach fünf Würfen werden Sie nicht erkennen, dass der Würfel gezinkt ist. Wenn Sie allerdings den Würfel 5000 Mal rollen lassen, die Ergebnisse in eine Excel-Tabelle schreiben und hinterher alles als Diagramm darstellen, werden Sie bemerken: Die 6 dominiert eindeutig.  

Genauso machen es Quantencomputer. Sie messen die Zustände der Qubits so oft, bis sich eine Priorisierung für einen bestimmten Wert ergibt. Möglich ist dies nur, wenn die kohärente Überlagerung der Qubits möglichst lange aufrechterhalten wird. Denn wenn die Wellenfunktion durch die Messung kollabiert, muss das Qubit erst wieder „auf Anfang“ gesetzt werden. Hat das Auslesen aber einwandfrei funktioniert ist das Ergebnis noch keineswegs als „wahr“ zu bezeichnen. Es spricht lediglich für eine „sehr große Wahrscheinlichkeit“. 

Rechenfehler gehören dazu

Ein typische Einsatzfeld für diese Art der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf einem Quantencomputer ist die Zerlegung großer Zahlen in ihre Primzahlen (zur Erinnerung: Primzahlen lassen sich ohne Rest nur durch 1 oder sich selbst teilen). Nehmen wir dazu die Zahl 7663. Ein einfacher Taschenrechner würde quasi sofort deren Primzahl-Faktoren 79 und 97 ausspucken. Bei einer Zahl wie 5674834903992101044930348784563 wäre allerdings Schluss, selbst ein superschneller Rechner hätte mit der Zerlegung einige Zeit zu tun. Umgekehrt geht’s dagegen bedeutend schneller: Die Multiplikation beispielsweise der Primzahlen 1982111 und 129339129911 ist schon in Sekundenbruchteilen erledigt. 

Das heißt: Das wahrscheinliche (!) Ergebnis einer Primzahlzerlegung durch einen Quantencomputer lässt sich durch eine klassische Multiplikation verifizieren beziehungsweise falsifizieren. Vorausgesetzt, die Umgebungsbedingungen der Qubits tragen nicht ihrerseits zur Fehlerquote bei. Um die Fehlerquote zu minimieren, muss somit alles getan werden, was die Messung der Qubits verfälschen oder gar verhindern würde. Neben der möglichst langanhaltenden Zeit der Superposition gehört dazu auch die Einschränkung der Eigenbewegung (= Wärme) der die Qubits enthaltenden Teile. 

Optimal wäre eine Temperatur möglichst nahe am absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius. Hier erlischt jede Eigenbewegung eines Atoms. Das Herunterkühlen – zum Beispiel per Laser oder flüssigem Helium beziehungsweise Stickstoff – macht die Teile „supraleitend“, das heißt, sie setzen elektrischem Strom keinerlei Widerstand mehr entgegen. Inzwischen wurden Materialien entwickelt, die schon bei Temperaturen von minus 200 Grad Celsius supraleitende Eigenschaften zeigen – was die Konstruktion und den Betrieb eines Quantencomputers kostengünstiger macht. 

Diese Quantencomputer sollten Sie kennen

D-Wave „Advantage“

Das Unternehmen D-Wave Systems gehört zu den Pionieren im Quantencomputing. Schon 2011 brachte der Hardwarehersteller aus dem kanadischen Burnaby einen Computer auf den Markt, der mit 128 Qubits bestückt war. Das aktuelle Modell namens „Advantage“ – Nachfolger des D-Wave 2000Q – rechnet sogar mit 5000 Qubits. Allerdings: Bei den D-Wave-Systemen handelt es sich nicht um „echte“ Quantencomputer, deren Qubits auf der Basis kohärenter Verschränkung funktionieren. Sie nutzen vielmehr eine Methode namens "Quantum Annealing".
Dabei sucht der Rechner in einer riesigen Datenmenge sozusagen nach Werten mit der geringsten Energiedichte. Dieses „Quanten-Glühen“ eignet sich besonders zur Ermittlung optimaler Lieferwege in der Logistik, bei denen gleich mehrere Wege richtig sein können. Dem Anwender bleibt es dann überlassen, welchen Lösungsweg er auswählt.

Was mit D-Wave-Systemen dagegen nicht funktioniert ist die Faktorisierung von Primzahlen. Der dazu verwendete „Shor-Algorithmus“, mit dessen Hilfe sich beispielsweise Verschlüsselungen knacken lassen, funktioniert nur bei Quantencomputern mit überlagerten Zuständen.

D-Wave „Advantage“
Der D-Wave-2000Q – Vorgänger des „Advantage“ – arbeitet mit minus 273 Grad Celsius, nur 0,15 Grad über dem absoluten Nullpunkt (Foto: D-Wave-Systems).

IBM Q System One „Raleigh” 

Hinsichtlich der genutzten Qubits geradezu bescheiden präsentierte sich IBM auf der CES 2020 in Las Vegas. Immerhin: Der neueste Quantencomputer mit dem Namen „Raleigh“ arbeitet mit 53 Qubits und einem Quantenvolumen von 28 Qubits, doppelt so viel wie beim Vorjahresmodell. Zur Info: Je höher das Quantenvolumen – also die Dichte der Quanten im Prozessor –, desto mehr reale komplexe Probleme können Quantencomputer potentiell lösen.  

IBM hat das Quantenvolumen seiner Systeme seit 2017 jedes Jahr verdoppelt. Die Entwicklung begann mit dem Fünf-Qubit-Computer namens „Teneriffa“. 2018 erhielt der 20-qubit „Tokio“ ein Quantenvolumen von 8 und im vergangenen Jahr erreichte der 20-qubit IBM Q System One, genannt „Johannesburg“, ein Quantenvolumen von 16. Die jährliche Erhöhung des Quantenvolumens sei sowohl für IBM als auch für die Quantencomputer-Industrie im Allgemeinen ein wichtiges Ziel, so das Unternehmen.  

IBM Q System One „Raleigh”
IBM Q System One „Raleigh” auf einem Messestand während der CES 2020 in Las Vegas (Foto: IBM).

Google„Sycamore“

Mit seinem Quantenprozessor „Sycamore“ sorgte Google Ende 2019 für weltweites Aufsehen. Der mit 53 Qubits arbeitende Rechner habe in einer Demonstration erstmals die Quantenüberlegenheit („quantum supremacy“) bewiesen. Dabei wurden Zufallszahlen nach einer speziellen Wahrscheinlichkeitsverteilung erzeugt. Die Verteilung wurde so gewählt, dass die entsprechende Aufgabe mit dem derzeit schnellsten Rechner der Welt 10.000 Jahre dauern würde, während der Sycamore-Prozessor dafür nur 200 Sekunden benötigte.  

Forscher von IBM stellten die Abschätzung der von einem herkömmlichen Computer benötigten Rechenzeit allerdings in Frage. Unter Verwendung eines sehr speicherintensiven Algorithmus sollten ihrer Meinung nach 2,5 Tage für die Berechnung ausreichen. 

Google-Chef Sundar Pichai präsentiert den „Sycamore“ in einem Labor des Konzerns
Google-Chef Sundar Pichai präsentiert den „Sycamore“ in einem Labor des Konzerns (Foto: Google).

Quantencomputer in der Praxis

Experten sind sich einig: Die ersten Anwendungen von Quantencomputern werden mit ziemlicher Sicherheit mehr Qubits und eine deutlich geringere Fehlerquote erfordern. Ein wichtiger Meilenstein wird der erste Einsatz von kleinen Quantencomputern sein, um die Quantenphysik von Chemikalien und Materialien auf eine Weise zu simulieren, die für Chemiker und Materialwissenschaftler tatsächlich nützlich ist. 

Die Simulation der Quantenmechanik – also die Überwindung der exponentiellen Amplituden-Explosion in der Natur durch einen mit der gleichen Leistung ausgestatteten Computer – war die ursprüngliche Anwendung, die sich der Physiker Richard Feynman Anfang der 1980er Jahre vorstellte, als er die Idee eines Quantencomputers vorschlug. Es ist immer noch die wichtigste Anwendung, die wir kennen – eine Anwendung, die bei der Entwicklung von Batterien und Solarzellen bis hin zu Düngemitteln und lebensrettenden Medikamenten helfen könnte. 

Sozusagen der „heilige Gral“ des Quantencomputing ist vermutlich die Entschlüsselung komplexer Codes. Doch der Traum der Geheimdienste wird vermutlich noch einige Jahre auf sich warten lassen. Zwar haben die beiden Forscher Craig Gidney bei Google in Santa Barbara und Martin Ekera am KTH Royal Institute of Technology in Stockholm eine Methode gefunden, mit der Quantencomputer Berechnungen zur Entschlüsselung effizienter vornehmen können, dazu seien aber wenigstens 20 Millionen Qubits nötig. Nach ihren Angaben würde ein so ausgestatteter Quantencomputer für die Entschlüsselung eines heute üblichen RSA-Codes mit 2048 Bits Länge lediglich 8 Stunden benötigen … 

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