Retail as a Service
Innovative Geschäftsmodelle machen den Einzelhandel flexibel und skalierbar.

Retail as a Service

Schaut man über den deutschen Tellerrand, liest man von Szenarien, die auch dem Einzelhandel hierzulande blühen könnten. Zwar haben wir in Deutschland noch immer eine gute Einkaufskultur, Menschen wollen in Städte und gehen gerne in Läden, aber es sind immer mehr Anzeichen eines stark rückläufigen Einzelhandels erkennbar. Pandemie und Lockdown haben diese Entwicklung noch weiter verstärkt. Neben dem offensichtlich ausbleibenden Umsatz des Einzelhandels durch Schließung, verlieren stationäre Händler möglicherweise Sympathien, die wiederum dem Online-Handel zugutekommen. So probierten Menschen, die sonst den stationären Handel bevorzugt und unterstützt haben, möglicherweise den Online-Handel aus und erfahren, dank fortgeschrittener Kundenzentrierung, dort einen Service-Gedanken, der nachhaltig imponiert. Der Gedanke liegt nahe, dass diese Kunden langfristig den Online-Shops treu bleiben werden. Finden Händler, Ketten und Kommunen keine schnellen und umsetzbaren Lösungen, um den stationären Handel in Deutschland attraktiver zu gestalten, werden sich Rückläufe weiter intensivieren.

Die klassische Rolle des Einzelhandels ist überholt und muss neu definiert werden.

Der stationäre Einzelhandel beschäftigt sich seit jeher mit dem Thema des Verkaufens. Und das sehr gut. Nur leider kann der reine Verkauf von Produkten nicht mit dem Erlebnis, der Aufmachung und der Effizienz des Online-Handels mithalten. Gerade die Effizienz ist den stationierten Händlern ein Dorn im Auge. Durch die smarte Kombination von zentralen Lagern und Beständen, der Möglichkeiten des Online-Bezahlen sowie dem kundenzentrierten Prozess der Lieferung und der Rückgabe, gerät der stationäre Handel zusehends ins Hintertreffen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die Integration von Click&Collect Lösungen ist zwar eine dienliche Maßnahme, aber ändert perspektivisch wenig im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit. Ein nahtloses Konzept von Offline- und Online-Präsenz ist heute Voraussetzung, um den sich wandelnden Ansprüchen der Zielgruppen in Bezug auf eine Omni-Channel-Experience gerecht werden zu können.

Das Zauberwort heißt Service.

Um Kunden anzulocken und Umsatz zu generieren, bzw. zu stabilisieren, reicht der einfache Verkauf eines Produktes nicht mehr aus. Die Präsentation eines Produktes ist durch globale Verfügbarkeiten und einer dauerhaften Vergleichbarkeit kein ausreichendes Verkaufsargument mehr. Stattdessen müssen Mehrwerte um das Produkt herum geschaffen werden, die das Erlebnis des Kaufens über die Benefits des Produktes hinaus einzigartig machen. Wie aber schaffe ich als stationärer Händler eben diese Erlebnisse?

Die klassische Rolle des Einzelhandels als reiner Verkäufer muss aufgebrochen werden und sich entwickeln. Der Einzelhandel muss sich zum Ort einzigartiger Erlebnisse wandeln. Der Prozess des Verkaufes ist dann eine positive Begleiterscheinung. Bei dem Fokus auf Erlebnisse wird auch bewusst, dass die Umgebung eine immer größere Rolle spielt. Neben der zunehmenden Bedeutung des erweiterten Umfeldes eines Geschäfts, werden auch Anbindungen immer wichtiger. Der Kunde möchte das Geschäft nicht nur in einer sauberen, ansprechenden und ungefährlichen Umgebung auffinden, er will auch eine simple und bequeme An- und Abreise genießen. Die Betrachtung der Customer Journey rund um das Erlebnis des Einkaufs beginnt also keineswegs erst an der Ladentür. Innenstadtlagen und ausgefallene Store-Konzepte sind allerdings nicht nur in ihrer Kostenstruktur sehr komplex, sondern auch in der Organisation und dem Unterhalt. Im Rahmen der Umorientierung des Einzelhandels gilt es also zunächst einmal, das aktuell verbreitete Konzept eines Single-branded-retail-shops, also das exklusive Führen und Gestalten einer Einzelhandelsfläche, zu überdenken.

Der stationäre Handel lernt vom Onlinegeschäft. Leider 5 Jahre zu spät.

Die Rolle des stationären Handels muss in der Zukunft viel mehr in Richtung Eventfläche oder Showroom gehen. Der stationäre Handel könnte dann weiterhin der wichtigste Berührungspunkt von Marke und Kunde bleiben, wird sich aber mehr auf das haptische und emotionale Erlebnis konzentrieren müssen, und weniger auf den reinen Verkauf. Um Interesse zu wecken und Inspiration zu stiften, setzen einige neue Einzelhandelskonzepte auf ein kleines, innovatives und sich ständig wechselndes Sortiment. Ein Vorteil des Retail-as-a-service, kurz RaaS, gegenüber den Single-branded-retail-shops ist die Möglichkeit der Kuratierung: Das Konzept kann eine bestimmte Richtung verfolgen, eine Marke aufbauen oder beim Kunden Vertrauen aufbauen, indem es zum Beispiel immer wieder gute kuratierte Sortimente anbietet, dem Kunden nachhaltig neue Impulse gibt oder eine bestimmte Linie fährt. Eine Marke für Marken sozusagen.

In zahlreichen Städten gibt es bereits Konzepte, die den Einkauf mit anderen Tätigkeiten vereinen und das Erlebnis des Besuchs in den Vordergrund stellen. Beispielsweise bieten stationäre Läden Kunst oder Ausstellungen an, beherbergen Cafés oder Restaurants, oder bieten sogar die Möglichkeit, sich sportlich zu betätigen. Der Einkauf wird eine Nebentätigkeit. Er wird sogar hintenangestellt. Die wichtigste Aufgabe dieser Konzepte ist es, ein positives Erlebnis zu schaffen – ein Erlebnis, das beim Rezipienten nachhaltig abgespeichert wird. Der Kauf selbst wird dann später auf irgendeinem Kanal vollzogen.

Die ganze Welt wird flexibler und unverbindlicher – warum nicht auch der Handel?

Wenn Hersteller sich bisher dafür entschieden haben, einen eigenen Store zu eröffnen, taten sie dies meist, um die Nähe zum Kunden nicht zu verlieren und möglichst viele Daten über das Kundenverhalten zu sammeln. Allerdings sind stationäre Geschäfte großflächig, sie erfordern Unmengen an Investitionen und Aufwand, sind nur begrenzt skalierbar und keinesfalls kurzfristig. Das Retail-as-a-Service Konzept verspricht hier Abhilfe. Den stationären Handel als Dienstleistung zu begreifen, ist ein Gedanke, der in anderen Bereichen bereits seit Jahren Anwendung findet. Aktuelle Beispiele sind Software-as-a-Service oder Mobility-as-a-Service. Bei beiden Konzepten wird der reine Besitz in den Hintergrund gestellt und der Nutzen priorisiert. Bietet man den stationären Handel also als Dienstleistung an, wird er damit skalierbarer und kurzfristiger. Ein Hersteller kann sich beispielsweise für ein saisonales Produkt eine gewisse Fläche in einem solchen „Concept-Store“ mieten, eventuell sogar in einem Paket mit Werbeflächen in unmittelbarer Nähe. So kann er auf innovative Technologien und eine starke Marke setzen und geht viel weniger Verbindlichkeit und Risiko ein, als wenn er einen eigenen Store zu bespielen hat.

Ein sehr beeindruckendes und innovatives Beispiel im Bereich des Retail-as-a-Service liefert das Unternehmen _blaenk. Das Düsseldorfer Konzept zeigt, wie man mit einem „Concept Store“ Flächen zeitgemäß bespielen kann und bietet Marken und Unternehmen den stationären Handel als Dienstleistung an. So übernimmt der Anbieter die Betreibertätigkeit und kümmert sich um alle administrativen Angelegenheiten wie Personalmanagement und Räumlichkeiten, während Marken sich dank modularem Ladenbau einen Platz auf Zeit mieten können, um dort ihre Produkte anzubieten. Das Angebot wechselt viermal jährlich und passt sich so den Bedürfnissen der Jahreszeiten an. Durch die Modularität der Dienstleistung bietet es auf diese Weise sowohl großen, als auch kleinen Unternehmen die Chance, sich innovativ in einem kuratierten Umfeld zu präsentieren. Das Unternehmen prüft die verkauften Produkte außerdem auf Nachhaltigkeit. Denn neben dem Innovationscharakter und der Wertigkeit ist die Nachhaltigkeit die dritte Gestaltungsmaxime des Konzepts. Untermalt wird sein Angebot mit Workshops, Events und Präsentationen der verkaufenden Unternehmen. So wird aus einem einfachen Point-of-Sale ein abwechslungsreicher Erlebnis-Bereich, der eine Symbiose zwischen Marken herstellt und nachhaltig positive Erlebnisse für Kunden kreiert. Diese Mehrwert-Konzepte sind aber keineswegs allgemeingültige Konzepte, die als Erfolgsgarant für den stationären Handel angesehen werden können. Vielmehr sind sie Experimente, Entwicklungen und Studien, die vielleicht für einzelne Zwecke und Unternehmen sehr gut funktionieren können, von denen aber auch die großen Player viel lernen können.

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