Smart Citizenship als Keimzelle staatlicher Digitalinnovation
Digitale Technologien sind schon lange im Mainstream angekommen: Wir kommunizieren digital, informieren uns im Netz, kaufen online ein, verbringen einen guten Teil unserer Freizeit in der digitalen Welt. Kurz gesagt: Wir leben online. Oder doch nicht?
Klar, für einen großen Teil der Bevölkerung ist „online sein“ die Norm – das gilt vor allem für die „digital natives“, also die Generationen, die mit dem (und im) Internet aufgewachsen sind. Doch auch ältere Generationen wie die Babyboomer bewegen sich mit zunehmender Selbstverständlichkeit im Netz, wie aktuelle Studien zeigen. (1) Doch was bedeutet der zunehmende Digitalisierungsgrad für die Politik? Wie können Staat und Bürgerschaft besser, schneller und konstruktiver miteinander kommunizieren? Und wie können Menschen den digitalen Raum nutzen, um ihre (politische) Lebenswirklichkeit mitzugestalten?
Antworten auf diese Fragen liefert das zukunftsweisende Konzept des sogenannten „Smart Citizen“. Smart Citizens leben in Smart Cities – ihre Lebensrealität ist eine, in der der digitale und der analoge Raum ineinander übergreifen, sich gegenseitig bereichern und bedingen. So weit die Theorie.
Digitale Vorreiter*innen und Zukunftsforscher*innen haben Visionen einer solchen Zukunftsstadt entwickelt, in der unser Leben vollautomatisiert und hocheffizient digitalisiert ist – vom automatischen Befüllen unserer smarten Kühlschränke bis hin zu Algorithmen, die Ampeln nach dem Verkehrsaufkommen steuern – all das muss jedoch befüttert werden mit Unmengen von persönlichen Daten. Doch diese Visionen gehen an den Wünschen und Bedürfnissen der Bürger*innen oftmals vorbei: Menschen möchten selbstbestimmt sein, und sie stehen dem Sammeln und Auswerten von Daten oftmals kritisch gegenüber.
Das Konzept der „Smart City“ steht und fällt also damit, wie ihre Bürgerschaft sich darin mit ihren Bedürfnissen, Sorgen und Wünschen widergespiegelt sieht. Mit anderen Worten: Der Smart Citizen der Zukunft benötigt nicht nur digitale Zugänge, sondern fordert auch digitale Teilhabe und vor allem digitale Souveränität. Darin liegt der Unterschied zu einem Digital Inhabitant, der seinen digitalen und analogen Lebensraum lediglich bewohnt, dabei aber passiv bleibt, während der Smart Citizen sein Umfeld proaktiv mitgestaltet und dafür auch Verantwortung übernimmt.
Der User-zentrierte Staat – wie digitale Selbstermächtigung funktionieren kann
Jede Technologie und Innovation rund um das Thema Digitalisierung hängt in hohem Maße von der Bereitschaft und der digitalen Affinität ihrer User*innen ab. Zentral für den Erfolg einer digitalen Zukunft ist eine öffentliche, transparente und demokratische Diskussion um Technologiepolitik und die gerechte Verteilung digitaler Ressourcen und deren Nutzen. Mit anderen Worten: Smart Citizenship ist vor allem eine Frage der Partizipation.
Um zu verstehen, wie die Beziehung zwischen Büger*innen und Staat im digitalen Raum beidseitig funktionieren kann, sind zwei Parameter wichtig: Der Digitalisierungsgrad einer Gesellschaft – also das Nutzungsverhalten, der Zugang, die Kompetenz und die Offenheit in Bezug auf digitale Medien – und die politische Partizipation.
Mit dem Digitalisierungsgrad beschäftigt sich der Digitalindex (2). Die jährlich stattfindende groß angelegte Gesellschaftsstudie beleuchtet, wie es um die digitale Affinität und die digitale Teilhabe der Gesellschaft in Deutschland bestellt ist. 2019/2020 wurde auch erstmals abgefragt, wie die Bevölkerung der Digitalisierung gegenübersteht und wie sie den Einfluss digitaler Technologien auf die Zukunft abschätzt. Seit Jahren nimmt dabei die Zahl derer zu, die online sind, das Internet also regelmäßig für sich nutzen. Die Studie zeigt aber auch, dass es einen hohen „digital divide“, also eine Kluft in Bezug auf die digitale Teilhabe gibt. Analog zu anderen gesamtgesellschaftlichen Ungleichheiten existiert auch im Bereich der digitalen Teilhabe eine Spaltung. Zwar ist diese Kluft in Industrienationen wie Deutschland relativ gering, doch auch hier findet sich die oft beklagte infrastrukturelle Ungleichheit bei der Internetversorgung zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Laut dem aktuellen Digitalindex nutzen außerdem Jüngere das Netz mehr als Ältere, Reiche mehr als Arme, Menschen mit hohem Bildungsgrad mehr als Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad. Gerade bei Parametern wie Bildung, Einkommen und Alter, die ohnehin Ungleichfaktoren für die Teilhabe in der Gesellschaft darstellen, ist die Kluft zwischen „Onlinern“ und „Offlinern“ also noch immer groß.
Auch im Bereich der politischen Partizipation gibt es Unterschiede. Das „Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft“ beschäftigt sich mit dem Wandel gesellschaftlicher Kommunikations- und Partizipationsprozesse im Bereich der Digitalisierung. Mit dem Weizenbaum-Report (3), der von der Forschungsgruppe „Digital Citizenship“ erstellt wurde, wird die politische sowie die digitale Partizipation in Deutschland gemessen und beleuchtet.
Zentrale Erkenntnisse dieses Reports belegen, dass die Mehrheit der Deutschen politisch interessiert ist und verstärkt auch das Internet als politische Informationsquelle und als Instrument politischer Teilhabe nutzt. Dabei zeigen sich die Bürger*innen durchaus medienkompetent: 75 % aller User*innen in Deutschland legen Wert auf seriöse Quellen, gerade wenn es um politische Themen geht. Über ein Drittel der Bürger*innen, gerade in der Altersgruppe der unter 35-Jährigen, engagieren sich zudem auf sozialen Netzwerken politisch, etwa indem sie Inhalte zu politischen Themen weiterleiten oder kommentieren oder indem sie beispielsweise Onlinepetitionen unterschreiben.
Laut diesen Berichten ist es um die digitale und politische Teilhabe der Bürgerschaft Deutschlands nicht schlecht bestellt. Wie weit sind wir also entfernt vom Prinzip des „Smart Citizenship“ als Keimzelle staatlicher Digitalinnovation?
In Deutschland gibt es einen zunehmenden Trend zu mehr Beteiligung der Bürger*innen über das Internet. Auch der Bund und die Länder greifen vermehrt auf digitale Kanäle zurück, sei es zu Kommunikations-, Verwaltungs- oder Konsultationszwecken. Umgekehrt finden auch immer mehr politisch interessierte und engagierte Bürger*innen, Vereine und Initiativen den Weg ins Netz, um ihre Meinung zu äußern, für politische Anliegen zu streiten oder Entscheidungen zu beeinflussen. So etabliert sich nach und nach eine digitale Beziehung zwischen Staat und Bürgerschaft: die E-Demokratie.
Um diese digitale Form der Demokratie jedoch wirklich demokratisch, also inklusiv für alle Bürger*innen zu betreiben, muss der Staat nicht nur in Sachen Infrastruktur, sondern auch im Hinblick auf digitale Bildung, Medienkompetenz und Teilhabe nachbessern.
Der Digitalindex formuliert zahlreiche Vorschläge, um diese Lücke zu schließen:
- Die digitale Infrastruktur muss besser ausgebaut werden. Zugang zu digitalen Innovationen wie Kommunikationsdiensten, Telemedizin oder Streaming sollte niedrigschwellig für alle zugänglich sein. Denkbar wären Digitalangebote an öffentlichen Plätzen wie Bibliotheken o. Ä.
- Online-Angebote wie Behördendienstleistungen, Bankgeschäfte oder auch das Buchen von Tickets müssen intuitiver und niedrigschwelliger gestaltet sein.
- Schulen spielen eine wesentliche Rolle bei der Aneignung digitaler Kompetenzen, müssen also in viel höherem Maße digital ausgestattet werden.
Bottom-up statt Top-down – den Smart Citizen neu denken
Die Smart-City ist ohne ihre Bewohner*innen nicht denkbar. Anders als noch in den 2000ern, als der Begriff des digitalen Zeitalters geprägt wurde, sieht man die User*innen digitaler Technik heute nicht mehr nur als Konsumenten, die von technischen Systemen gesteuert werden. Vielmehr wird heute nicht mehr nur in der Wirtschaft ein User-zentrierter Ansatz verfolgt. Denkt man diesen Ansatz weiter, so wird deutlich, dass auch im Bereich des E-Governments und der sogenannten Smart Cities der Mensch im Mittelpunkt stehen muss.
Zukunftsweisende Städte, Kommunen und Gemeinden erkennen die Bedürfnisse ihrer Bürger*innen und beginnen zu verstehen, dass es beim Smart-City-Prinzip nicht primär um die Etablierung neuer Technologien geht. Smart, das steht eben nicht nur für neue digitale Errungenschaften, sondern vor allem für Lebensqualität, Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Vielfalt. Der bunte Mix aus Bewohner*innen jeden Alters und jeglicher Herkunft mit ihren Bedürfnissen, Aktivitäten und Interessen bereichert den gesellschaftlichen Raum. Nur so werden digitale und analoge Räume mit Leben gefüllt. Die Smart City samt ihres E-Governments soll also für ihre Bewohner*innen da sein, sie miteinbeziehen und ihnen Gestaltungsspielraum einräumen.
Daher sollte ein Bürger*innen-zentrierter Ansatz verfolgt werden, bei dem die Smart City die Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen versteht und diesen Rechnung trägt. Es geht darum, die Bürgerschaft dazu zu befähigen, ihre Lebensrealität aktiv und partizipatorisch mitzugestalten – sowohl online als auch offline. Alle Akteure, von der Politik über die Verwaltung bis hin zu den Bürger*innen, sind dabei gefordert.
Das bedeutet ein Aufbrechen und Neudenken des bisherigen Top-down-Prinzips, also von der Idee, dass primär der Staat die Entscheidungen trifft. Das Bottom-up-Prinzip befähigt hingegen die Bürgerschaft zu mehr Teilhabe und Entscheidungshoheit, nimmt sie jedoch auch in die Pflicht, den eigenen Lebensraum aktiv mitzugestalten und sich in digitalen und analogen Räumen zu engagieren. Bislang nahm diese Rolle jedoch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung ein – die digitale Avantgarde.
Wie in Zukunft die Beziehung zwischen Gesellschaft und Staat im digitalen Raum von beiden Seiten ausgestaltet wird, hängt jedoch von allen Seiten ab: Der Staat muss proaktiver die Digitalisierung vorantreiben, während die Bürgerschaft gefordert ist, sich gerade auch in Sachen (digitaler) Stadtgestaltung verstärkt einzubringen.
[1] D21-Digital-Index 2019 / 2020, eine Studie der Initiative D21, durchgeführt von Kantar. Digital https://initiatived21.de/app/uploads/2020/02/d21_index2019_2020.pdf
[2] D21-Digital-Index 2019 / 2020, eine Studie der Initiative D21, durchgeführt von Kantar. Digital https://initiatived21.de/app/uploads/2020/02/d21_index2019_2020.pdf
[3] Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – Das Deutsche Internet-Institut (Hrsg.). Weizenbaum Report „Politische Partizipation in Deutschland 2019“. https://www.weizenbaum-institut.de/media/Publikationen/Weizenbaum_Report/WR_2020_200617_final.pdf
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