Lothar Engelke, Swiss Life Deutschland
Interview mit Lothar Engelke

Das richtige Modell ist das, welches wechselnde Führung erlaubt.

Lothar Engelke ist Chief Technology Officer bei der Swiss Life Deutschland. Er stand uns im Rahmen der Studie „Schnittstelle zwischen IT und Fachbereich“ im Frühjahr 2021 für ein Tiefeninterview zur Verfügung. Wir sprachen mit ihm unter anderem über die Rollen von Business und IT und deren Zusammenarbeit. Lesen Sie hier das ausführliche Interview.

Herr Engelke, die Swiss Life hat sicherlich im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereich eine spannende Entwicklung genommen. Was können Sie uns darüber verraten?

Die gab es, aber im Vergleich zu den Konzernumfeldern, in denen ich zuvor tätig war, ist die grundsätzliche Form der Zusammenarbeit in der Swiss Life deutlich stärker geprägt von Nähe und auch intensiver. Wir sind auch keine klassische und extrem verteilte Organisation. Unsere Mitarbeitenden arbeiten vor allem an unseren Standorten Hannover oder Garching eng zusammen und wir leben unsere Kultur des Mit- und Füreinander. Nichtsdestotrotz haben wir natürlich auch in der Vergangenheit ein eher traditionelleres Rollenverständnis gehabt. Die Fachbereiche haben ihre Aufgabe darin gesehen, neue Ideen zu entwickeln. Die IT hatte diese zu übersetzen und in Lösungen zu transformieren. Das hat sich stark gewandelt. Jetzt arbeiten die Fachbereich und die IT zusammen an einer Lösung, sie verbindet ein gemeinsames Ziel und der gemeinsame Erfolg.

Die Digitalisierung beeinflusst die Versicherungsbranche. Wie reagiert die Swiss Life auf diesen Trend und was sind Ihre Ziele diesbezüglich?​

Ich glaube, die Konsequenz aus diesen digitalen Modellen ist eine noch intensivere Verantwortung der IT. Der Stellenwert der IT war in der Finanz- und Versicherungsbranche immer schon hoch. Aber natürlich entwickelt er sich noch weiter und wird noch erfolgskritischer. Gerade das letzte Jahr hat gezeigt, inwieweit digitale Prozesse und Geschäftsmodelle schon funktionieren oder wo sie gegebenenfalls auch noch Nachholbedarf haben. Bei uns heißt das im Wesentlichen, dass wir unsere Plattformfähigkeiten ausbauen wollen. Wir sind ja nicht nur als Versicherer, sondern auch als große, ungebundene Vertriebsorganisation in Deutschland tätig. Da arbeiten wir mit rund 250 Versicherungen im deutschen Markt zusammen. Vor allem diese digitalen Plattformenfähigkeiten zur Integration aller Prozesse sind Erfolgsfaktoren für unser Geschäftsmodell und für unser Wachstum. Und diese müssen wir nachhaltig, sicher und skalierbar in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Stabilität, Sicherheit, Performance sind aus unserer Sicht ganz maßgeblich in der Frage, wie erfolgreich wir uns in digitalen Geschäftsmodellen nach vorne bewegen.

Und wie nehmen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Swiss Life auf diese Entwicklung mit?

Wir haben sehr früh schon begonnen, unsere strategischen Zielbilder nicht nur aufzuschreiben, sondern auch an alle zu kommunizieren. Denn es gibt kaum eine Funktion im Unternehmen, die nicht direkt oder indirekt an einem digitalen Prozess, einem digitalen Geschäftsmodell beteiligt werden muss. Wenn dort nicht eine gemeinschaftliche Sicht aufgebaut wird, dann ist das nur die halbe Miete. Zielbilder kommunizieren, auf die Funktions- und Mitarbeiterebene herunterbrechen und die Mitwirkung verdeutlichen. Das, glaube ich, sind Erfolgskriterien.

Wenn wir jetzt das Spannungsfeld zwischen IT und Fachbereich mal ein bisschen tiefer beleuchten, wie stellt es sich in Ihrem Unternehmen dar?

Ich sehe das Spannungsfeld recht unabhängig von IT und Fachbereich. Es liegt eher im Setzen der richtigen Prioritäten. Wenn wir in neue Lösungen und Technik investieren, dann muss es eine Wirkung auf unseren Geschäftserfolg haben und dazu braucht es entsprechende Prioritäten. Die Geschäftsmodelle müssen nachhaltig und stabil sein. Das wiederum bringt Prioritäten für Modernisierung, Pflege von Systemen und Erneuerungen von Technologien mit sich. In diesem konstruktiven Spannungsfeld müssen wir abwägen, ob wir gerade in neue Features und Funktionalitäten investieren oder zunächst an der Modernisierung und Stabilisierung arbeiten, um am Ende beide Ziele ausreichend gut verfolgen zu können.

Herrschende Meinung ist „Business führt, IT folgt“. Würden Sie dem zustimmen?

Ich denke, dass es in meinem Bild ein wechselndes Führen ist. Geht es um Investitionen in neue Funktionalitäten, muss ein Business führen, weil es den erwarteten Geschäftserfolg bestimmt und dazu Commitment einbringt. Es gibt aber auch Zeiten, zu denen IT führen muss, weil auch Modernisierung erfolgskritisch für unser Geschäft ist oder sein wird. Jedes neue Feature, welches nicht jeden Tag gut und stabil verfügbar funktioniert, ist am Ende kein gutes Feature. Das richtige Modell ist das, welches wechselnde Führung erlaubt.


In einem Artikel war zu lesen, dass der agile Wandel bei der Swiss Life abgeschlossen sei. Welche Erfahrungen haben sie gemacht und wie geht mit dem Thema weiter?

Ich glaube, dass ein Organisationssetting nie abgeschlossen ist. So wie bei der Einführung klassischer Prozesse und Methoden vor 30 Jahren ist es auch bei der Umwandlung in agile Prozesse ein stetiger Verlauf. Die Swiss Life hat schon sehr früh damit begonnen, mit agilen Methoden und Verfahren in Projekten und in Entwicklungsorganisationen zu arbeiten. In den letzten zwei Jahren haben wir Agilität mehr und mehr als generelle Basis gemeinschaftlicher Arbeit an digitalen Lösungen eingeführt. Also übergreifende Teams mit Verantwortung für Softwarelösungen etabliert, gepaart mit einer etwas wendigen, flexibleren Steuerung, Planung und Priorisierung.

Was ist unsere Erfahrung? Auf der Ebene der Mitarbeitenden ist es das Einrennen offener Türen, weil sie sich wünschen, in selbstbestimmten Teamstrukturen dauerhaft Verantwortung für ihre Lösungen zu übernehmen. Daneben gibt es aber auch ganz viele Prioritätsentscheidungen, Governance- und regulatorische Fragen. Diese erfordern, dass wir uns auch die Prozesse rund um diese Teams anschauen und auf agile Strukturen anpassen, um den Teams auch wirklich das bestmögliche Potenzial an eigener Steuerung zuzusprechen. Das wäre für mich das Key-Lessons-Learned.

Am Ende führt man Agilität auch agil ein. Das heißt, man ist nicht in der Lage für die nächsten Jahre aufzuschreiben, was man alles tun will, sondern man muss anfangen zu lernen und zu adaptieren.

Welche weiteren Maßnahmen und Initiativen haben Sie ergriffen, um den Fachbereich bzw. die IT enger zu verzahnen und die Zusammenarbeit zu fördern?

Bei der Swiss-Life pflegen wir schon immer eine Kultur der Zusammenarbeit, mit einer offenen Feedback-Kultur, um für ein hohes Maß an Selbstverantwortung zu sorgen. Auf diesem Fundament baut natürlich auch eine agile Arbeitsweise auf. In den letzten Jahren haben wir sehr bewusst unsere Steuerungsgremien aus IT und Fachbereich zusammengestellt. Die IT entscheidet nicht allein über eine Architektur und versucht diese dann mit den Fachbereichen zu verzahnen. Wenn wir ein neues System definieren und eine neue IT-Architektur verabschieden, dann sind die Fachbereiche von Anfang an involviert und übernehmen auch eine Mitverantwortung. So entsteht ein gutes Miteinander.

In unserer Studie kam heraus, dass sich der Fachbereich von der IT häufig unverstanden fühlt, die gemeinsame Sprache fehlt. Sind Tandems also die Lösung?

Tatsächlich gebraucht die IT häufig eine andere Sprache als die Fachbereiche. Da hilft es, gemeinsame Teams aufzubauen und voneinander zu lernen. Dann bildet sich ein gemeinsames Verständnis und daraus eine gemeinsame Sprache zu dem, was man tun will und tun muss. Allein Glossare oder Wikis helfen da alleine nicht weiter.

Eine Ihrer Aufgaben ist es, neue Geschäftsmodelle voranzutreiben. Wie binden Sie hierbei IT und Fachbereiche ein?

Bei uns gibt es nicht dieses traditionelle Bild: hier ist eine Business Strategie und da irgendwo eine IT-Strategie. Man braucht Alignment, um diese miteinander in Verbindung zu bringen. Wir entwickeln zeitgleich und inhaltlich konsistent eine Strategie für die Swiss Life Deutschland. So besteht nicht die Gefahr, dass wir eine Vertriebs- oder eine Versicherungsstrategie entwickeln, die nicht zur IT passt und umgekehrt. Wir begeben uns gemeinsam in einen Strategieprozess und entwickeln zeitgleich eine technische und eine geschäftliche Vision für die kommenden Jahre.

Gibt es neben gemeinsamen Teams noch weitere organisatorische Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit?

Für mich sind es drei Dinge, die man organisieren und auf die man achten muss. Zum einen Nähe schaffen. Über gemeinsame Prozesse bringt man erst Menschen dazu, an Themen zu diskutieren und sich auszutauschen. Corona hat uns gezeigt, dass das auch mit Hilfe digitaler Prozesse und Medien möglich ist. Das Zweite ist für mich Vernetzung ermöglichen. Aus dem Silodenken herauskommen und zu fragen: Was ist eigentlich die Summe unserer Ergebnisse? Ein schönes Beispiel aus der agilen Welt ist die Idee von „Big Room Plannings“, also großen vernetzten Planungsereignissen, die erst einmal extrem wuselig und chaotisch wirken. Wenn sie gut gesteuert sind, aber am Ende ein für das Unternehmen hervorragendes Ergebnis produzieren. Die Tapete offenbart in einer gesamten Landkarte wo wir stehen, welche Themen wir zu sehr fokussieren und welche wir eher vernachlässigen. Drittens geht es um klare Verantwortlichkeiten. Es gibt Fachbereiche, die mit IT-Lösungen einen Geschäftserfolg verantworten und es gibt eine IT, die diese IT-Lösungen verantwortet und zur Verfügung stellt. Ich glaube, dass alle Rollen und Funktionen dazwischen in der Regel keinen Mehrwert haben. Diese nannte man mal DV-Verbindungsstelle oder Key-Account. Sie sorgen nur für eine Entfremdung der beiden eigentlich Verantwortlichen.

Wie hat sich die Pandemie für die Swiss Life und auf die Ansprüche an die IT ausgewirkt?

Es hat uns wie vielen anderen auch gezeigt, wie wichtig wirklich durchgängige digitale End-to-End Geschäftsprozesse sind. Der Grad der Digitalisierung hat bei vielen Unternehmen in den letzten 12 bis 15 Monaten über den Geschäftserfolg entschieden. Dass wir das letzte Jahr mit dem besten Ergebnis unserer Geschichte abgeschlossen haben, ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass wir mit digitalen Prozessen sowohl im Vertrieb als auch in der Versicherung unser Geschäft weiterführen konnten. Jetzt ließen sich auch noch die letzten fünf Prozent unserer Geschäftsprozesse digitalisieren. Alle neuen Prozesse werden von Grund auf digital bewegt, damit wir keinen neuen manuellen oder personellen Prozess verursachen. Natürlich hat sich auch bei uns gezeigt, wie wichtig Stabilität, Performance und Sicherheit sind. Eine neue Herausforderung für uns ist die stärkere Dezentralisierung unserer IT Services und Leistungen. Entscheidend ist nicht mehr die Verfügbarkeit des Arbeitsplatzes an unseren Standorten, sondern schlicht die Qualität des eigenen WLANs im Homeoffice. Die zweite Dezentralisierung ist im Grunde die unserer Anwendungsentwicklung. Gerade in Verbindung mit Agilität hat man lange das Credo gepflegt, ein Team muss in einer Fläche zusammensitzen und abends ein Bier trinken können. Es hat seine Stand-Ups und seine Kanban Boards. Gerade das hat uns das letzte Jahr gezwungen zu überlegen, wie so eine gemeinschaftliche Entwicklung virtuell stattfinden kann. Ich glaube, dass da noch viel zu tun ist, aber durchaus auch schon viele Elemente entstanden sind, um diese räumliche Nähe durch digitale, virtuelle Möglichkeiten zu kompensieren.

Das sind für mich die beiden neuen Learnings. Dezentralisierung der Verfügbarkeit und Dezentralisierung unserer Entwicklungsprozesse.

Würden Sie sagen, dass die Pandemie quasi ein Auslöser für ein Umdenken auch bei der Swiss Life war?

Auf jeden Fall. Wir kommen eigentlich aus einer sehr starken Präsenzkultur. Wir bereiten den Mitarbeitenden an den Standorten die bestmöglichen Arbeitsbedingungen, sodass sie gerne und immer zu uns kommen. Im letzten Jahr sind wir dann katapultartig von einer Präsenzkultur in eine Remotekultur gekommen und mussten diese Wohlfühlkultur völlig neu denken. Wir haben viel gelernt, vor allem, wie gut wir wirklich in so einer Remotekultur sind und dass es viel besser funktioniert als es viele von uns wahrscheinlich gedacht haben.

Unsere Umfrage hat ergeben, dass sich ungefähr 60 bis 80 Prozent der Arbeitnehmer wünschen, auch nach der Pandemie aus dem Homeoffice zu arbeiten. Wie ist Ihre Einschätzung diesbezüglich?

Ein wichtiges Thema, das viele umtreibt. Auch wir haben in die Teams hineingehorcht. Aktuell ist sowohl der Wunsch nach Begegnung als auch Flexibilität da und auch wir bauen Homeoffice sukzessive aus. An ein „One-Size-Fits-all“-Prinzip glauben wir jedenfalls nicht. Die Mitarbeitenden sehen auch weiter einen hohen Wert darin, sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen persönlich zu vernetzen. Das ist auch funktions- und aufgabenbezogen sehr unterschiedlich. Es gibt Entwickler die sagen, dass sie auch von zuhause entwickeln können. Auch auf der Fachbereich-Seite gibt es viele, die sagen, ich brauche jetzt nicht jeden Tag die Nähe zu den Kolleginnen und Kollegen. Es gibt aber genauso andere Bereiche, die sich nicht mehr als einen Tag Remotearbeit vorstellen können. Ich glaube, man muss es den Bereichen und Menschen so ermöglichen, wie es für sie situativ und auch von der Kultur her am besten passt. Wenn wir die Corona-Pandemie nicht gehabt hätten, hätten wir uns vermutlich jahrelang mit Piloten und Studien herumgequält, ob zwei Stunden mehr oder weniger die Produktivität nun positiv oder negativ beeinflusst.

Wie kann ein Unternehmen das volle Potenzial für moderne Geschäftsmodelle ausschöpfen?

Zusammenfassend: Von von der Strategie und klaren Zielbildern kommend, muss man Digitalisierung aus dem Abstrakten herausheben und neue, moderne Geschäftsmodelle ins Konkrete überführen. Nur wenn die Mitarbeitenden involviert sind, werden sie sich motiviert engagieren und ihren Anteil am Gesamterfolg erkennen. So entsteht dann auch eine gute, konsistente und auch gemeinsame Entwicklung. Dabei müssen sich drei Dinge wiederfinden. Erstens, das, was wir tun, muss für unsere Kunden einen Nutzen haben. Wenn der Kunde es nicht für sich als Nutzen erkennt, dann wird es auf Dauer keinen Erfolg haben können. Zweitens, es muss für uns Wachstum generieren, damit wir unser Geschäft mit unseren Vertrieben und Partnerinnen und Partnern ausbauen können. Drittens, es muss natürlich auch nachhaltige Profitabilität, Effizienz und Produktivität erzeugen. So gelingt eine gemeinsame Entwicklung, an der sich alle gut beteiligen können.

Herr Engelke, ganz herzlichen Dank für die spannenden Einblicke in die Swiss Life Deutschland.

Lothar Engelke, Swiss Life Deutschland

Lothar Engelke, Swiss Life Deutschland

Zur Person: Lothar Engelke studierte Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Dortmund. Im Anschluss an sein Studium übernahm er Verantwortung als Projektmanager bei IBM Deutschland. Seine berufliche Laufbahn in der Versicherungsbranche begann er 1997 bei AXA Deutschland in leitender Funktion im Architekturmanagement. Im Jahr 2002 wurde er zum Mitglied der Geschäftsführung der AXA Technologie Services ernannt. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker wurde 2004 Mitglied der Geschäftsführung der Gothaer Systems GmbH. Nach rund sechsjähriger Tätigkeit dort wechselte Engelke im Jahr 2010 in den Ergo-Konzern als Mitglied der Geschäftsführung der Itergo GmbH. Seit 1. Juli 2019 ist Lothar Engelke Chief Technology Officer (CTO) bei Swiss Life Deutschland. 
Zum Unternehmen: Swiss Life bietet ihren Kunden seit 1866 erstklassige Versicherungslösungen. Der Hauptsitz der Versicherung befindet sich in Garching bei München. Zusätzlich ist das Unternehmen mit den Marken Swiss Life Select, tecis, HORBACH, ProVentus und Swiss Compare auf dem deutschen Markt aktiv, die für ganzheitliche Finanzberatung nach dem Best-Select-Prinzip stehen. Hauptsitz für die Finanzberatungsunternehmen ist Hannover.

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