Herr Engelke, die Swiss Life hat sicherlich im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereich eine spannende Entwicklung genommen. Was können Sie uns darüber verraten?
Die gab es, aber im Vergleich zu den Konzernumfeldern, in denen ich zuvor tätig war, ist die grundsätzliche Form der Zusammenarbeit in der Swiss Life deutlich stärker geprägt von Nähe und auch intensiver. Wir sind auch keine klassische und extrem verteilte Organisation. Unsere Mitarbeitenden arbeiten vor allem an unseren Standorten Hannover oder Garching eng zusammen und wir leben unsere Kultur des Mit- und Füreinander. Nichtsdestotrotz haben wir natürlich auch in der Vergangenheit ein eher traditionelleres Rollenverständnis gehabt. Die Fachbereiche haben ihre Aufgabe darin gesehen, neue Ideen zu entwickeln. Die IT hatte diese zu übersetzen und in Lösungen zu transformieren. Das hat sich stark gewandelt. Jetzt arbeiten die Fachbereich und die IT zusammen an einer Lösung, sie verbindet ein gemeinsames Ziel und der gemeinsame Erfolg.
Die Digitalisierung beeinflusst die Versicherungsbranche. Wie reagiert die Swiss Life auf diesen Trend und was sind Ihre Ziele diesbezüglich?​
Ich glaube, die Konsequenz aus diesen digitalen Modellen ist eine noch intensivere Verantwortung der IT. Der Stellenwert der IT war in der Finanz- und Versicherungsbranche immer schon hoch. Aber natürlich entwickelt er sich noch weiter und wird noch erfolgskritischer. Gerade das letzte Jahr hat gezeigt, inwieweit digitale Prozesse und Geschäftsmodelle schon funktionieren oder wo sie gegebenenfalls auch noch Nachholbedarf haben. Bei uns heißt das im Wesentlichen, dass wir unsere Plattformfähigkeiten ausbauen wollen. Wir sind ja nicht nur als Versicherer, sondern auch als große, ungebundene Vertriebsorganisation in Deutschland tätig. Da arbeiten wir mit rund 250 Versicherungen im deutschen Markt zusammen. Vor allem diese digitalen Plattformenfähigkeiten zur Integration aller Prozesse sind Erfolgsfaktoren für unser Geschäftsmodell und für unser Wachstum. Und diese müssen wir nachhaltig, sicher und skalierbar in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Stabilität, Sicherheit, Performance sind aus unserer Sicht ganz maßgeblich in der Frage, wie erfolgreich wir uns in digitalen Geschäftsmodellen nach vorne bewegen.
Und wie nehmen Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Swiss Life auf diese Entwicklung mit?
Wir haben sehr früh schon begonnen, unsere strategischen Zielbilder nicht nur aufzuschreiben, sondern auch an alle zu kommunizieren. Denn es gibt kaum eine Funktion im Unternehmen, die nicht direkt oder indirekt an einem digitalen Prozess, einem digitalen Geschäftsmodell beteiligt werden muss. Wenn dort nicht eine gemeinschaftliche Sicht aufgebaut wird, dann ist das nur die halbe Miete. Zielbilder kommunizieren, auf die Funktions- und Mitarbeiterebene herunterbrechen und die Mitwirkung verdeutlichen. Das, glaube ich, sind Erfolgskriterien.
Wenn wir jetzt das Spannungsfeld zwischen IT und Fachbereich mal ein bisschen tiefer beleuchten, wie stellt es sich in Ihrem Unternehmen dar?
Ich sehe das Spannungsfeld recht unabhängig von IT und Fachbereich. Es liegt eher im Setzen der richtigen Prioritäten. Wenn wir in neue Lösungen und Technik investieren, dann muss es eine Wirkung auf unseren Geschäftserfolg haben und dazu braucht es entsprechende Prioritäten. Die Geschäftsmodelle müssen nachhaltig und stabil sein. Das wiederum bringt Prioritäten für Modernisierung, Pflege von Systemen und Erneuerungen von Technologien mit sich. In diesem konstruktiven Spannungsfeld müssen wir abwägen, ob wir gerade in neue Features und Funktionalitäten investieren oder zunächst an der Modernisierung und Stabilisierung arbeiten, um am Ende beide Ziele ausreichend gut verfolgen zu können.
Herrschende Meinung ist „Business führt, IT folgt“. Würden Sie dem zustimmen?
Ich denke, dass es in meinem Bild ein wechselndes Führen ist. Geht es um Investitionen in neue Funktionalitäten, muss ein Business führen, weil es den erwarteten Geschäftserfolg bestimmt und dazu Commitment einbringt. Es gibt aber auch Zeiten, zu denen IT führen muss, weil auch Modernisierung erfolgskritisch für unser Geschäft ist oder sein wird. Jedes neue Feature, welches nicht jeden Tag gut und stabil verfügbar funktioniert, ist am Ende kein gutes Feature. Das richtige Modell ist das, welches wechselnde Führung erlaubt.

In einem Artikel war zu lesen, dass der agile Wandel bei der Swiss Life abgeschlossen sei. Welche Erfahrungen haben sie gemacht und wie geht mit dem Thema weiter?
Ich glaube, dass ein Organisationssetting nie abgeschlossen ist. So wie bei der Einführung klassischer Prozesse und Methoden vor 30 Jahren ist es auch bei der Umwandlung in agile Prozesse ein stetiger Verlauf. Die Swiss Life hat schon sehr früh damit begonnen, mit agilen Methoden und Verfahren in Projekten und in Entwicklungsorganisationen zu arbeiten. In den letzten zwei Jahren haben wir Agilität mehr und mehr als generelle Basis gemeinschaftlicher Arbeit an digitalen Lösungen eingeführt. Also übergreifende Teams mit Verantwortung für Softwarelösungen etabliert, gepaart mit einer etwas wendigen, flexibleren Steuerung, Planung und Priorisierung.
Was ist unsere Erfahrung? Auf der Ebene der Mitarbeitenden ist es das Einrennen offener Türen, weil sie sich wünschen, in selbstbestimmten Teamstrukturen dauerhaft Verantwortung für ihre Lösungen zu übernehmen. Daneben gibt es aber auch ganz viele Prioritätsentscheidungen, Governance- und regulatorische Fragen. Diese erfordern, dass wir uns auch die Prozesse rund um diese Teams anschauen und auf agile Strukturen anpassen, um den Teams auch wirklich das bestmögliche Potenzial an eigener Steuerung zuzusprechen. Das wäre für mich das Key-Lessons-Learned.