Brauchen wir ein neues Superreferat für Daten, Herr Bönig?
München will zu einer der führenden Smart Cities Europas werden. Mit einer schlanken Verwaltung, intelligenter Mobilität und Klimaneutralität bis 2035.
Wie weit ist die Landeshauptstadt in ihrer Umgestaltung? Was sind die nächsten Schritte der Transformation? Dazu äußern sich führende Köpfe der Isar-Metropole in unseren Meilensteingesprächen Digitales München 2025. Hier wird Zukunft konkret.
Den Auftakt der Gesprächsserie macht Thomas Bönig, CIO & CDO der Stadt. Er spricht über Digitale Zwillinge, Eisbrecher-Projekte – und einen Isar-Spaziergang in zwanzig Jahren.
Herr Bönig, Sie sind Chefdigitalisierer der Stadt München. Was ist Ihre Vision für das digitale München der Zukunft?
Die Digitalisierung in München ist schon seit längerem im Gange, die Ergebnisse sind oft bereits deutlich sichtbar. Ich möchte hier stellvertretend für viele laufende Projekte zwei Beispiele nennen, mit denen wir in Zukunft das digitale München maßgeblich prägen und ausbauen werden.
Zum einen ist das der Weg in die Digitalisierung der städtischen Verwaltungsprozesse...
... hin zu mehr Bürgernähe und digitalen Angeboten.
Stichworte sind dabei E- und O-Government oder das Online-Zugangsgesetz (OZG). Dahinter steht die große Herausforderung, bis Ende 2022 umfassende Dienste über Portale erreichbar zu machen – und zwar über alle Verwaltungsebenen hinweg.
Ein Beispiel ist unser „München Portal der Zukunft (MPdZ)“, mit dem wir einen ganzheitlichen Weg beschreiten.
Einerseits stellt das Portal mit seiner „Online-Fassade“ viele digitale Services und Angebote bereit. Anderseits sorgt es für durchgängig optimierte, volldigitale Prozesse mit der Integration zentraler Komponenten wie ePayment, Nutzungskonten, eAkte, einem hohen Automatisierungsgrad und der Verfolgung des Once-Only-Prinzips zur Nutzung vorliegender Informationen bei den Behörden.
Das Ziel sind moderne, digitale Leistungen der kommunalen Verwaltung, wie sie jeder täglich in den bekannten großen Online-Plattformen positiv erleben kann.
Ihr zweites Beispiel?
Die Schaffung der Smart City München mit der Vision einer lebenswerten, ressourcenschonenden und resilienten Stadt. Ein echtes Leuchtturmprojekt ist hier der „Digitale Zwilling der Landeshauptstadt München“. Gefördert durch das BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur), legten wir beim Digitalen Zwilling zunächst den Fokus auf kommunale Verkehrssysteme und arbeiten hier seit 2019 an stadtweiten Szenarien und Lösungen für eine smarte Mobilität in München. Als virtuelle, interaktive 3D-Stadtsimulation hilft uns der Digitale Zwilling zum Beispiel, Verkehrsströme abzubilden, neu zu planen und Emissionen zu senken.
Und jetzt übertragen Sie den Digitalen Zwilling auf weitere Bereiche ...
Wir setzen ihn nun auch in der Stadtentwicklung ein. Das Projekt ist Anfang 2021 gestartet und läuft bis 2025. Der konsequente Ausbau und die Weiterentwicklung des Digitalen Zwillings ist für uns zentral und mündete erst kürzlich im sogenannten „Eisbrecher“-Projekt“ „CUT – Connected Urban Twins “...
... wo München neuerdings mit Hamburg und Leipzig zusammenarbeitet.
Im Konsortium mit den beiden Großstädten und vom BMI (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat) im Rahmen des Programms „Modellprojekte Smart City“ gefördert, wollen wir Synergieeffekte erzielen, aber auch voneinander lernen.
Ziel ist, ein vollständiges digitales Abbild der Stadt inklusive einer umfassenden Basis kommunaler Daten: die sogenannte Urbane Datenplattform.
Die Plattform, zusammen mit dem Digitalen Zwilling, eröffnet uns völlig neue Einsatzmöglichkeiten wie integrierte Analysen sowie Simulationen und realitätsnahe Visualisierungen von Szenarien in den Bereichen Mobilität, Klimaschutz und Stadtplanung. Hier übernehmen wir gemeinsam sicher eine Vorreiterrolle.
Neben vielem wird es zum Beispiel zu deutlichen Verbesserungen und Beschleunigungen in den Planungsprozessen kommen.
Das reicht bis hin zu neuen VR- und AR-Anwendungen (Virtuell und Augmented Reality), die ganz neue Perspektiven in der Kommunikation mit der Stadtgesellschaft und in der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern eröffnen.
Digitalisierung muss für alle Beteiligten konkrete Vorteile bringen.
Wenn Sie eine Agenda mit den wichtigsten Digitalprojekten bis 2025 aufsetzen würden: Welche drei Projekte stünden ganz oben?
Die Umsetzung des Digitalen Zwillings steht sicher mit ganz oben. Ein zweiter Punkt ist das ganze Bündel von Digitalisierungsmaßnahmen im Kontext der Online-Dienste und Plattformen, wie im OZG ja auch gesetzlich gefordert. Ich sehe auch den verstärkten Ausbau freiwilliger Online-Angebote, die immer mehr von Bürgerinnen, Bürgern, Unternehmen und Organisationen erwartet werden und Anforderungen der Fachbereiche sind.
Erwähnen möchte ich auch unsere Initiativen rund um OpenSource, OpenData und Beteiligungsformate.
Mit dieser umfassenden Digitalisierung begegnen wir auch dem Handlungsdruck des demografischen Wandels im Verwaltungspersonal. Ein weiteres, ganz großes Thema.
Sich also nur auf drei Projekte zu beschränken wäre kurzsichtig, zudem kaum möglich, eine Fokussierung aber sicher erforderlich.
Was sind für Sie die wichtigsten Meilensteine, um diese Projekte in den kommenden Jahren nach vorne zu treiben?
Für mich sind das immer die konkret anfassbaren Ergebnisse, die für die Nutzer und Anwender nachvollziehbare Verbesserungen bringen. Das ist bei allen Projekten der Maßstab: Digitalisierung muss für alle Beteiligten konkrete Vorteile bringen. Das wird nicht bei allen komplexen Digitalisierungsprojekten immer sofort der Fall sein, von daher gefällt mir der Begriff der „Meilensteine“ sehr gut, denn wir müssen langfristig planen und denken.
In 20 Jahren werden wir sicherlich alle erstaunt sein, wie einfach es ist, mit der Stadt in Kontakt zu treten.
Stellen Sie sich vor, es gäbe ein neues Superreferat für IT, Daten und Security. Was würde dafürsprechen? Was dagegen?
Die IT spielt in der Verwaltung der Landeshauptstadt München bereits heute eine herausragende Rolle – ohne Elemente wie Digitalisierung geht es faktisch nicht und der Handlungsdruck nimmt weiter zu. Wir haben uns so organisiert, dass das IT-Referat alle maßgeblichen IT-Themen für die Fachreferate betreibt und auch neue Schwerpunkte umsetzt. Dazu gehören auch alle Security-Themen, die eine enorm hohe Priorität haben. Wir überprüfen regelmäßig, auf welchen Feldern ein IT-Referat zusätzliche IT-nahe Themen übernehmen oder steuern kann.
Ich würde aber dennoch nicht von einem Superreferat sprechen: Wir sehen uns eher als ein übergreifendes Querschnittsreferat, wo eine sinnvolle Bündelung der zum Teil sehr komplexen Themen aus der IT und der Digitalisierung umgesetzt wird.
Wenn Sie in 20 Jahren an der Isar entlangschlendern und auf die Smart City München schauen würden: Was würden Sie sagen, auf welches Projekt wären Sie rückblickend am meisten stolz?
Sicher nicht auf das eine einzelne Projekt, sondern auf die vielen Projekte, die smart miteinander vernetzt sind und damit den großen, sichtbaren Unterschied machen. In 20 Jahren werden wir bestimmt alle erstaunt sein, wie einfach es ist, mit der Stadt in Kontakt zu treten. Die Verwaltung wird intuitiver, erlebbarer und damit auch nahbarer für die Bürgerinnen und Bürger sein. Warteschlangen oder lange Anfahrten in die Stadt werden der Vergangenheit angehören.
Die Stadt wird definitiv in allen Prozessen schlauer und besser sein, also smarter. Abläufe im städtischen Leben werden reibungsfrei verlaufen, viele heute noch nicht miteinander vernetzte Themen werden eng miteinander verknüpft sein und damit für die Beteiligten neue Freiräume schaffen. Und die Stadt München soll lebenswert bleiben und noch attraktiver werden.
Wir müssen den Herausforderungen in den Bereichen Klima, Umwelt und Verkehr effektiv begegnen. Digitalisierung wird hier einen wichtigen Beitrag leisten. Wir als IT-Referat sind bereit und gewillt, diesen komplexen Aufgaben im Schulterschluss mit den anderen Bereichen der Stadt mit innovativen und nachhaltigen Lösungen zu begegnen.
IT ist dort oft treibende Kraft für Innovationen. Die große Frage ist immer, ob diese neuen Möglichkeiten auch aus fachlich-inhaltlicher Sicht messbare Vorteile für eine Stadt und die Stadtgesellschaft bringen.
Was können aktuell andere Kommunen bei der Digitalisierung von der LHM lernen? Was kann die LHM von anderen Metropolstädten in der Welt lernen?
Wir engagieren uns in unterschiedlichsten Projekten, Netzwerken und Initiativen, um unsere Erfahrungen, Ideen und unser Wissen einzubringen oder neue Eindrücke zu gewinnen. Es gibt gemeinsame Förderprojekte mit nationalen und internationalen Städten. Es gibt auch Städtekooperation mit Augsburg und Nürnberg oder im näheren Umfeld mit der sogenannten Nordallianz ...
... dem Verbund von Nachbarkommunen im Norden von München...
Mit all diesen Städten und Kommunen gibt es einen regelmäßigen Austausch, aber auch konkrete Lösungen, sei es bei E-Government und OZG, aber auch im Bereich Smart City.
Und bei den Smart City Projekten wollen wir auch dem Titel „Lighthouse“ City oder „Eisbrecher“ gerecht werden und unsere Strategien, Konzepte und Lösungen aktiv einbringen. Mit Initiativen wie der „Open Source Factory“ oder Kooperation mit Organisationen wie der UnternehmerTUM oder Universitäten schaffen wir viele konkrete Inhalte und sorgen über unsere Netzwerke sowie muenchen.digital für eine gewisse Reichweite.
Klingt ganz danach, als sei die Digitalisierung Münchens nie abgeschlossen.
Definitiv nicht. Deshalb ist Digitalisierung ein Thema, bei dem lebenslanges Lernen ein wichtiger Bestandteil ist. Das gilt für jeden einzelnen Menschen, aber auch für so komplexe Gebilde wie eine Stadt. Digitalisierung ist ein dauerhafter Faktor des Lebens geworden, der Wandel ist fester Bestandteil und in Kooperationen ist diese Aufgabe leichter zu schultern.
Natürlich beobachten und analysieren wir auch die Trends und Entwicklungen im kommunalen Kontext um uns herum – Bund, Länder, EU, weltweit. IT ist dort oft treibende Kraft für Innovationen.
Die große Frage ist immer, ob diese neuen Möglichkeiten auch aus fachlich-inhaltlicher Sicht messbare Vorteile für eine Stadt und die Stadtgesellschaft bringen. Und da ist es wesentlich, gemeinsam mit anderen Städten Dinge auszuprobieren, Schritt für Schritt die Zukunft als Netzwerk zu gestalten. Wir sind bereit an der Lösung der bestehenden und kommenden Herausforderungen für Städte mitzuarbeiten, auch voranzugehen und unser Wissen einzubringen.
Herr Bönig, vielen Dank für das Gespräch.
Über Thomas Bönig, IT-Referent und CIO & CDO
Thomas Bönig, geboren am 08.11.1961 in Stuttgart, Dipl.-Ing. (FH) der technischen Informatik. Nach dem Studium und einer Tätigkeit in einem Maschinenbauunternehmen wechselte Herr Bönig zu einer Unternehmensberatung, bei der er eine IT-Abteilung aufbaute.
Nach der Ausgründung der IT in eine eigenständige GmbH entwickelte er das Unternehmen zu einem Marktführer für Call- und Servicecenter im Bankenumfeld. Im Jahr 2008 wechselte Herr Bönig zu einer IT-Tochtergesellschaft der VBL und übernahm im Jahr 2010 die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft sowie die Leitung der internen IT-Abteilung.
Seit dem 01.03.2018 ist Herr Bönig Leiter des neu gegründeten IT-Referates der Landeshauptstadt München und wurde kurz darauf auch zum CDO und CIO ernannt.
Dieses Interview führte Ulf Hollinderbäumer
Ulf Hollinderbäumer ist Management Consultant bei Cassini. Mit seinem Team aus Experten und Expertinnen für Digitalisierung, Daten und Prozessen forciert er die Smart City von morgen.
Sein Fokus liegt in der Beratung der Landeshauptstadt München inklusive ihrer Eigenbetriebe und Gesellschaften. Dazu gehören u. a. Themen wie die Digitalisierung der Verwaltung und Bürgerservices oder eine datengetriebene Verkehrs- und Mobilitätsplanung.
Ulf hat die Landeshauptstadt zentral bei der Einführung des „Digitalen Zwillings“ und der „Urbanen Datenplattform“ beraten: Zukunftsprojekte, die zugleich Inhalte seines Interviews mit Thomas Bönig sind, dem CDO & CIO der Stadt.