Wodurch wird eine wertschöpfende Zusammenarbeit der IT und des Fachbereichs beeinflusst und was sind hierbei die kritischen Erfolgskriterien?
IT ist kein Selbstzweck, aber wir haben natürlich auch eigene IT-Ziele wie Standardisierung und Modernisierung, die sich erstmal auf den Fachbereich nicht unmittelbar auswirken. Es geht um Wirtschaftlichkeit, Performance, Stabilität und das Schaffen von neuen Möglichkeiten.Â
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass auch der Fachbereich sich mit uns abgleichen muss. Wir haben z.B. im letzten Jahr entschieden, dass krisengeschwächte Mitgliedsbetriebe unter bestimmten Bedingungen eine Beitragsstundung beantragen können. Was vielleicht einfach klingt, musste für 380.0000 Mitgliedsunternehmen umgesetzt werden. Berechtigte herauszufiltern, ein digitales Antragsformular anwenderfreundlich ins Web zu stellen und den Stundungsprozess in die bestehenden Prozesse, sowohl fachlich als auch technisch einzugliedern, war besonders unter dem damals herrschenden Zeitdruck eine große Herausforderung.Â
Kritische Erfolgsfaktoren sind für mich eine auf beiden Seiten vorhandene Bereitschaft zur konstruktiven Auseinandersetzung und zur Kooperation.Â
Welche organisatorischen Voraussetzungen müssen Unternehmen schaffen, um eine erfolgreiche IT-Fachbereichs-Schnittstelle auszubilden?
Im Prinzip gibt es im Alltag zwei Eingangskanäle in die IT. Da ist zum einen das Thema Service Management, also Störungsmeldungen, Problemmeldungen, Bestellungen. Zum anderen gibt es das Thema Anforderungen.Â
Wir haben uns vor einigen Jahren dafür entschieden, unser Anforderungs- und Projektmanagement selbst zu entwickeln, wohl wissend, dass es vielleicht länger dauert. Aber so haben wir perfekt für uns passende Prozesse schaffen können, um Anforderungen anzunehmen, formal zu prüfen und zu bewerten, auf der Timeline einzusortieren und schließlich in die Umsetzung zu geben. Wird ein Maß an Komplexität überschritten, wird der Anforderung ein Projektmanagement zur Seite gestellt.Â
Zur Zusammenarbeit mit den Fachbereichen habe ich in meiner IT eine Key-Account-Management eingerichtet: Jeder Fachbereich hat einen dedizierten Ansprechpartner, den eben genannten „Fachbereichsversteher“, der gemeinsam mit seinem Gegenüber Anforderungen erstellt, prüft und die Umsetzung begleitet. All das hilft, Anforderungen sinnvoll zu priorisieren und knappe Ressourcen sinnvoll einzusetzen.
Im Kontext der Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereich wird häufig der Begriff Agilität verwendet. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht und wie geht es mit diesem Thema weiter?
In der Gesetzlichen Unfallversicherung haben sich in den letzten Jahren verschiedene IT-Kooperationen und Anwendergemeinschaften gebildet. Die BGHW zum Beispiel ist Mitglied in der SIGUV-Kooperation, der „Shared Services Interessengemeinschaft für die gesetzliche Unfallversicherung“. Die Kooperationspartner erbringen sich wechselseitig Shared Services. So ist die BGHW unter anderem zuständig für das Thema Dokumenten- und Formularmanagement. Wir stellen die entsprechenden Systeme für die Partner zur Verfügung, betreiben und entwickeln diese auch weiter. So decken wir gemeinsam die grundsätzlichen IT-Bedarfe ab und versuchen darüber, unsere Geschäftsprozesse aneinander anzugleichen. Dennoch hat jede Berufsgenossenschaft auch eigene Anforderungen, die manchmal nicht mit gemeinschaftlicher Einheitssoftware erfüllt werden können.Â
Wir haben beispielsweise im letzten Jahr gemeinsam mit unserer Präventionsabteilung eine App entwickelt, mit der der Außendienst einen Großteil seiner Aufgaben papierlos mit dem iPad durchführen kann. Die App dockt über Schnittstellen nahtlos an die Fachwendungen an. Durch die Anwendung agiler Methoden und in enger Zusammenarbeit mit dem Fachbereich ist in einem knappen Jahr ein Produkt entstanden, das sich im Fachbereich großer Beliebtheit erfreut. Für Software, die wir selbst entwickeln, sind agile Vorgehensweisen also bereits etabliert. Allerdings ist Agilität auch kein Allheilmittel. Ich kann mir gerade nicht vorstellen, wie wir eine komplett neue Generation einer großen Fachanwendung im laufenden Betrieb agil entwickeln sollte. Während der iterativen Entwicklung müssten Anwender gleichzeitig mit alter und neuer Software arbeiten, was sicherlich nicht nur für die Akzeptanz hinderlich wäre.
Inwieweit ist das Business in die IT-Strategieentwicklung der BGHW eingebunden?
Das Business gibt die IT-Strategie vor. Letztendlich geht es in einer Berufsgenossenschaft darum, stabil und auf wirtschaftliche Art Mitgliedsbeiträge zu erheben, versichertengerechte Leistungen zu erbringen und eine gute Präventionsarbeit zu leisten. Unsere IT-Strategie ist daher mittelfristig schon sehr gut planbar.Â
Die Pandemie hat gezeigt, dass wir trotzdem Spielräume für unvorhergesehene Veränderungen lassen müssen. Auch kommen immer mehr Schnittstellen zum Datenaustausch der vielen unterschiedlichen externen Partnern. Und letztendlich möchten wir die Digitalisierung unserer internen Prozesse weiter vorantreiben. Insofern ist unser Strategiepapier ein lebendes Dokument, das gemeinsam mit der Geschäftsführung und den Fachbereichen weiterentwickelt wird.