Warum hinkt die Verwaltung hinterher?
Habbel: Verwaltung ist geronnene Politik. Und Politik ist geronnene Lebenswelt. Wenn die Politik sich entscheidet, auf ein Problem in der Gesellschaft zu reagieren und etwa das Medienrecht ändert, dann dauert der Prozess von der Gesetzgebung bis zur Umsetzung in den Ämtern oftmals Jahre. Manchmal ist dann das Problem in der Gesellschaft schon verschwunden oder hat sich verändert. Zwischen Erkenntnis des Problems und Umsetzung der Lösung in den Ämtern müssen wir schneller werden. Ansonsten laufen wir weiter hinterher.
Gibt es dafür ein aktuelles Beispiel?
Habbel: Eine ganze Reihe. Aktuell planen wir gemeinsame Plattformen als digitale Eingangstore für die Verwaltung. Das Stichwort heißt hier Portalverbund. Ich gehe aber davon aus, dass sich solche Webseiten in wenigen Jahren überholt haben. Stattdessen werden Chatbots für den Bürger Dienste eigenständig erledigen. Mit Chatbots – nicht zu verwechseln mit Socialbots – entstehen gerade völlig neue Türen in die Rathäuser. Diese Türen werden auch von Unternehmen wie Facebook, Apple und Co. definiert. Wenn ein Bürger heute etwas über einen Vorgang wissen will, klickt er nicht unbedingt die Such-Funktion des Amtes an, sondern bei Google. Diese Dienstleistungskonkurrenz durch Unternehmen erhöht auch den Druck auf die Verwaltung, sich zu modernisieren. Die Frage lautet: Wie steuern wir mit unseren Möglichkeiten und Kompetenzen das Staatswesen?
Drüke: Diese Frage stellt sich bei den Smart Cities-Initiativen. Hier geht es letztendlich darum, wem der öffentliche Raum gehört und wer ihn steuert. Bei manchen Projekten übernehmen Technologie-Konzerne, die sich neue Märkte erschließen wollen, die Steuerung. Andere wie Amsterdam sehen eine starke Partizipation der Bürger vor.
Ist das nicht auch eine Chance für die Verwaltung, bestimmte Dienstleistungen auszulagern? An Unternehmen oder an Bürger, die sich digital vernetzen?
Habbel: Das ist ein interessanter Aspekt, den wir auch unterstützen. Ich glaube, Menschen können sich durch Werkzeuge wie soziale Netzwerke so organisieren, dass gemeinschaftliche Leistungen entstehen. Sie entwickeln unterhalb der kommunalen Selbstverwaltung eine Bürgerselbstverwaltung. Eine Transformation vom Vater Staat zum Bürgerstaat.
Welche Aufgabe übernimmt dann noch der Staat?
Habbel: Da bleibt noch eine ganze Menge, wie zum Beispiel äußere, innere und soziale Sicherheit, Bildung und Gesundheit, um nur einige zu nennen. Die Aufgabe der Kommunen wird neben den Infrastrukturen insbesondere sein, das soziale Kapital der Gemeinschaft zu identifizieren, zu pflegen und in politische Prozesse einzubinden. Ein Beispiel: Wir haben Defizite bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, besonders wenn es um Fahrten aus dem ländlichen Raum in die Städte geht. Was passiert? Die Leute organisieren sich mit dem Smartphone selbst! Bauen Plattformen, auf denen sie Mitfahrgelegenheiten absprechen oder Pakete für andere zur Post mitnehmen. Diese Plattformtechnologie, die unterschiedliche Angebote mit Nutzern verbindet, wird eine große Rolle spielen. Hier können Kommunen Basisinfrastrukturen für eine bessere und schnellere Kommunikation zur Verfügung stellen, um dann Aufgaben an die Bürger abzugeben und das soziale Kapital einer Gemeinschaft zu nutzen.
Zeichnet sich hier eine neue Balance zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ab?
Drüke: Ich schlage Leistungsverbünde vor, bei denen Unternehmen, Ämter und Bürger gleichberechtigt zusammenarbeiten. Dazu gibt es wie in den Metropolregionen Ansätze. Hier werden öffentliche und private Akteure einbezogen, die je nach ihren Kompetenzen und Ressourcen Teilaufgaben erledigen. Die führende Rolle der hoheitlichen Instanzen wie Kommune oder Landesregierung darf dabei nie zur Debatte stehen. Insbesondere im ländlichen Raum stellen diese Leistungsverbünde eine mögliche Lösung für die schwindende Präsenz der öffentlichen Verwaltung dar.