Die Sicherstellung dieser Vorgaben in einem klassischen Wasserfallmodell ist vergleichsweise einfach zu realisieren. Sobald eine genaue Systemspezifikation konzipiert wurde, gilt es einen auf Barrierefreiheit spezialisierten Experten zu beauftragen. Dieser arbeitet die Spezifikation durch und optimiert sie strukturiert hinsichtlich der Barrierefreiheit. Deutlich kniffliger wird die Gewährleistung der Barrierefreiheit im Kontext von agilen Vorgehensmodellen. Insbesondere wenn diese zusätzlich in ein skaliertes Framework eingebettet sind, bspw. nach SAFe. Diese gewinnen jüngst auch im öffentlichen Sektor aufgrund der nicht von der Hand zu weisenden Vorteile zunehmend an Popularität.
Doch wie kann die Einhaltung von ca. 150 Vorgaben in einem Projekt sichergestellt werden, welches von dezentralen Entscheidungen lebt und in welchem die Verantwortung für einzelne Teilaspekte über mehrere Dienstleister, Product Owner, Software Entwickler, unterstützende UX-Experten und Fachautoren verteilt ist?
Die wohl schlechteste Antwort ist das Ignorieren der Thematik bis kurz vor oder nach dem Roll-out. Die dann erforderlichen Anpassungen führen meist zu Verzug und erheblichen Mehrkosten. Dieses offensichtliche Risiko sollte nicht sehenden Auges ignoriert, sondern frühzeitig und adäquat adressiert werden. Doch welche Lösungswege werden gegenwärtig beschritten? Oftmals werden in Projekten Schulungen für die beauftragten Entwickler durchgeführt, die meist auf eher wenig Begeisterung stoßen, da sie sich mit einer allgemeinen Darstellung der Erfordernisse der Barrierefreiheit begnügen. Zudem werden in den Projekten in regelmäßigen Zyklen Barrierefreiheitstests durchgeführt, um etwaige Probleme beheben zu können. Eindeutiger Nachteil dieser Vorgehensweise ist die mangelnde projektspezifische
Befassung mit der Barrierefreiheit. Der Transfer des gewonnen Wissens auf die Herausforderungen der Entwicklung obliegt den Entwicklern, welche häufig mit offene diesen Fragen allein gelassen werden. Die Folge ist, dass Anforderungen der Barrierefreiheit häufig nicht unmittelbar entwicklungsseitig umgesetzt und Fehler erst im Nachhinein entdeckt werden. Das hieraus resultierende Erfordernis häufiger Anpassung bereits entwickelter Funktionalitäten sorgt, besondere am Anfang von Entwicklungsprojekten, für Frustration aller Beteiligten.
In Abgrenzung zur gegenwärtigen Praxis haben wir als Cassini ein sechsstufiges Konzept zur entwicklungsbegleitenden Sicherstellung der Barrierefreiheit in agilen Projekten entwickelt. Kern dieses Konzeptes ist die Institutionalisierung der folgenden Maßnahmen:
- Prägnante, zielgruppen- und projektspezifische Guidelines (für Product Owner, Entwicklung, die Fachseite etc.)
- Entwicklungsbegleitende Tests durch geschulte BITV-Tester
- Einführung einer übergreifenden Rolle zur Gewährleistung der Barrierefreiheit
- Fortlaufende präemptive Prüfungen konzeptioneller Artefakten (z. B. User Stories und
UX-Designs) seitens des Product Owners - Formulierung dezidierter User Stories zur Gewährleistung der Barrierefreiheit
- Projektspezifische Barrierefreiheits-Schulungen und Barrierefreiheits-Retrospektiven
zum gemeinschaftlichen und nachhaltigen Aufbau projektspezifischer Expertise