Die erfolgreiche Einführung von Prozessmanagement in großen Organisationen benötigt nicht nur kompetenzorientierte formale Lernangebote, sondern auch die Integration von informellem Lernen.
Informelles Lernen beschreibt den Erwerb von Wissen, Fähigkeiten, Einsichten und Kompetenzen außerhalb formaler Lernangebote (Schule, Universität, Seminare) und strukturierter Lehrpläne. Informelles Lernen erfolgt im Gegensatz zum formalen Lernen eher spontan in alltäglichen Situationen (z.B. bei der Bewältigung irgendwelcher Aufgaben oder dem Lösen von Problemen), eher selbstgesteuert und in sozialen Interaktionen durch das Verfolgen persönlicher Interessen.
Das, was wir unter informellem Lernen verstehen, geht auf verschiedene Ansätze zurück.
Grundcharakteristika des 70-20-10-Lernmodells:
- Der Großteil des Lernens (70%) findet durch praktische Erfahrungen am Arbeitsplatz statt (Learning from Experience). Dies kann das Erledigen von Aufgaben, die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, Projekterfahrungen und andere berufsbezogene Aktivitäten umfassen.
- Etwa 20% des Lernens geschieht durch soziale Interaktionen und den Austausch mit anderen (Learning from Others). Dies kann in Form von Mentoring, Coaching, Diskussionen, Communities of Practice, Feedback von Kollegen und anderen sozialen Aktivitäten erfolgen.
- Nur etwa 10% des Lernens werden durch formale, strukturierte (Weiter-) Bildungsangebote erreicht (Learning from Structured Education). Dazu gehören Schulungen, Workshops, Seminare und andere formelle Lehrveranstaltungen.
Alle oben genannten Konzepte gilt es bei der Einführung von Prozessmanagement sinnvoll zu berücksichtigen. Change-Management, Wissenstransfer- und Wissensmanagement sowie Kompetenzentwicklung sind hier kaum zu unterscheiden. Bei der Konzeption und Umsetzung verschiedenster Change- und Qualifizierungsangebote haben wir in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass vor allem das praktische Problemlösen – z.B. durch die Übernahme einer Rolle in der Prozessorganisation oder die Übernahme von Aufgaben (Moderieren eines KVP-Workshops) – den größten und nachhaltigsten Effekt beim Erwerb von Wissen und Kompetenz haben. Vor allem bei der Arbeit mit Führungskräften haben wir gelernt, dass sie selten empfänglich für rein theoretische Impulse (Wie funktioniert Prozessmanagement oder welchen Nutzen hat es?) sind, aber sehr interessiert an sozialem Austausch. Regelmäßigen Netzwerktreffen von Führungskräften mit Prozessrollen (z.B. als Prozesseigner:in oder Prozessverantwortliche) oder anderen Arten von Comunities of Practice, die den gegenseitigen praxisorientierten Erfahrungsaustausch und die Diskussion praktischer Probleme fördern, werden hingegen von der Mehrheit der Teilnehmenden als sehr effektive Format bewertet.
Neben solchen Formen sozialen Lernens werden von vielen Mitarbeitenden vor allem auch orts- und zeitungebundene Lernangebote (Learning on demand) geschätzt – egal, ob in Form kurzer Videos oder umfangreicheren multimedialen Lernreisen für die Übernahme neuer Rollen. Insbesondere die Flexibilität solcher informellen Angebote wird gewürdigt, da sie den individuellen Bedürfnissen der Lernenden besser entspricht. Dies betrifft nicht nur Ort und Zeit, sondern auch die Lerngeschwindigkeit: Allein kann man sich schwierige Themen mehrfach anhören bzw. ansehen oder bereits bekannte Themen überspringen oder schneller abspielen.
Informelle Lernangebote bringen Organisationen bei der Einführung neuer Themen zahlreiche Vorteile. Sie stellen die Organisationen aber auch vor ganz neue Herausforderungen, da
- die Angebote aufwendiger zu planen sind,
- positive Rahmenbedingungen in der Organisation erfordern (vor allem mehr Zeit zum Lernen),
- der Lernerfolg nur schwer messbar ist
- und es allgemein eine größere Zahl von Angeboten benötigt, welche die verschiedenen Lernpräferenzen und Lerntypen möglichst individuell adressieren.
In Zeiten verteilter Teams und mit der immer weiteren Verbreitung von Homeoffice müssen vor allem die Ansätze zum sozialen Lernen konsequent weiterentwickelt werden. Dabei hilft es, kompetenzbasierte Lernziele für alle notwendigen Rollen in einer Organisation zu formulieren – unabhängig davon, mit welchem Lernangebot diese Lernziele später unterstützt werden. Formen sozialen Lernens unterstützen hierbei vor allem die höheren Lernzielstufen – hier z.B. Verstehen, Anwenden, Analyse, Synthese, Evaluation, wenn man sich an den Taxonomiestufen nach Bloom orientiert.
Bloomsche Taxonomie
Die Bloomsche Taxonomie ist ein hierarchisches Modell zur Klassifikation von Lernzielen, entwickelt von Benjamin Bloom. Sie beginnt mit dem einfachen Erinnern von Fakten und Grundlagen (Wissen), gefolgt vom Verstehen und Erklären von Konzepten. Anschließend geht es um das Anwenden bekannter Informationen in neuen Situationen, die Analyse von Strukturen, das Bewerten (Evaluieren) basierend auf Standards und schließlich das Erschaffen neuer Ideen oder Produkte. Diese sechs Taxonomiestufen spiegeln eine fortschreitende Komplexität und Tiefe im kognitiven Lernprozess wider.