Lean-Change-Zyklus in der öffentlichen Verwaltung
Die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung braucht radikalere Lösungen, wenn sie dem Tempo der Veränderung standhalten will. Holen Sie Agilität raus aus der Projektnische und denken Sie groß, appellieren die Cassini-Berater Simon Hageman und Nando Caputo Crapa.
Verwaltungsmodernisierung, 9-Punkte-Plan für das digitale Deutschland, Dienstekonsolidierung: Die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung braucht nicht zuletzt in Zeiten der Corona-Pandemie radikalere Lösungen, wenn sie dem Tempo der Veränderung standhalten will. Holen Sie Agilität raus aus der Projektnische und denken Sie groß. Mit dem Lean-Change-Zyklus können Sie den Wandel aktiv gestalten und Ihre Organisation dabei mitnehmen.
Die digitale Transformation ist bereits seit Jahren avisiertes Ziel der Bundesregierung. Auch im Rahmen des 9-Punkte-Plans für das digitale Deutschland von morgen formuliert unser Bundes-CIO Dr. Markus Richter wegweisende Schwerpunkte zur Modernisierung, Agilisierung und nutzerzentrierten Ausgestaltung interdisziplinärer Verwaltungsstrukturen.
Ein weiterer großer Kraftakt im Sinne der Modernisierung der Bundes-IT ist die Dienstekonsolidierung. Ziel dieses Programms ist es, bis zum Jahr 2025 einige wenige leistungsstarke IT-Lösungen zu entwickeln, die dann sich ähnelnde Verfahren einheitlich ablösen sollen und somit einen konkreten Bundesstandard festlegen.
Diese Ambitionen haben etwas gemeinsam und er ist aktueller denn je: der stetige Ruf nach Wandel. Zudem soll und muss er schnell vonstattengehen und sich dabei vollständig um seinen Nukleus drehen – den Kunden, den Bürgern Deutschlands.
Die Taxonomie des Wandels
Betrachten wir den Wandel in der Realität der öffentlichen Verwaltung zu Beginn einmal ganz nüchtern: Er findet, wenn überhaupt, als Projektinhalt einen methodischen Ansatz. Jedoch wird der Wandel in den seltensten Fällen fachlich und somit ganzheitlich in die Veränderungsstrategie eingebettet.
Wichtig ist, sich an dieser Stelle noch einmal zu vergegenwärtigen: Veränderungsmanagement bedeutet, Veränderungsprozesse in Organisationen ganzheitlich und kontinuierlich zu gestalten, zu realisieren, zu reflektieren und zu verankern. Im Kern geht es um die Gestaltung des Übergangs von einem unbefriedigenden Ausgangszustand zu gemeinsam getragenen Ergebnissen auf dem Weg zu einem idealen Zielzustand (Transition), vor allem aber um die Begleitung der einzelnen Menschen durch ihre individuellen Lernprozesse (Transformation).
Da Organisationen, und somit auch die öffentliche Verwaltung, in erster Linie aus Menschen bestehen, müssen diese auch im Zentrum aller Gestaltungsaktivitäten stehen. Für diese Gestaltung bedarf es daher unter anderem:
- Raum für die Reflexion der aktuellen Situation
- Zeit für einen regelmäßigen Austausch auf Augenhöhe
- Platz für unterschiedliche Sichtweisen, Dialoge und Feedback
- klare Rollenverteilung und einfache Entscheidungsstrukturen
- wertschätzende und selbstbewusste Führungskompetenzen
Veränderungsvorhaben können vor allem dann scheitern, wenn es versäumt wird, die Betroffenen in die Gestaltung einzubinden und so Widerstände entstehen. Der Soziologe George Elton Mayo hatte bereits in den 1920er-Jahren im Zuge der sogenannten Hawthorne-Experimente u.a. belegt, dass partizipative Veränderungen in den Organisationsstrukturen zu mehr Zufriedenheit bei gleichzeitiger Leistungssteigerung führen können. Kurt Lewin (1947) legte zudem den Grundstein für die systemische Organisationsentwicklung. Auch das von Taiicho Ōno entwickelte Kaizen lieferte in den 1980er Jahren entscheidende Impulse, die sich heute u.a. im Lean und Agile Management wiederfinden.
Im Change Management verbinden sich also Psychologie, Soziologie sowie Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften mit östlicher und westlicher Philosophie: Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger.
Höchste Zeit dieser Verbindung mehr Aufmerksamkeit zu widmen und die Verknüpfung der Methodologien in einem ganzheitlichen Ansatz in der öffentlichen Verwaltung stärker zu forcieren.
Lean Change Management – Die Antwort auf eine sich verändernde Welt
Es ist offensichtlich, dass die digitale Transformation neue Anforderungen an Organisationen und Führungskräfte stellt. Jeff Anderson fügte den Begriff „Lean“ zum Themengebiet „Change Management“ hinzu. Der Leitgedanke ist, Change Management einfacher, agiler und mit innovativen Ansätzen zu versehen. Lean Change Management ist ein Feedback-getriebener und iterativer Change-Management-Ansatz. Dabei wird die Lean-Startup-Methode (Phasen: Build, Measure, Learn) auf Change Management angewandt und auf den sogenannten Lean-Change-Management-Zyklus adaptiert. Phasen dieses Zyklus sind Einsichten, Optionen und Experimente. In überschaubaren Sequenzen wird der Veränderungsprozess iterativ und inkrementell organisiert.
Hierbei zeigt sich auch die enge Verbindung zu den Methoden des agilen Managements, bei dem in Sprints an Teilzielen gearbeitet und in Abstimmungsrunden anschließend intensiv reflektiert wird, ob die Vorgehensweise ideal auf den Maßnahmenimpetus einzahlt.
Der grundlegende Charakter des Lean-Change-Zyklus verbindet aus der Agilität bekannte Denkprinzipien und führt sie mit bewährten Ansätzen aus dem Organisationswandel zusammen. Hierbei wird das Ziel des Change-Vorhabens dynamisch auf Basis der Reaktionen zwischen Mensch und Umwelt inkrementell fokussiert: Agilität küsst Change.
Dabei bilden nachstehende Leitsätze den Rahmen für ein erfolgreiches Lean-Change-Management-Projekt:
- Betroffene werden zu Beteiligten, indem sie die Veränderung selbst erstellen und durchführen.
- Die Beteiligten verändern iterativ und inkrementell in für sie passenden Teilen.
- Die Beteiligten validieren diese Teile gemeinsam – bevor sie diese selbständig durchführen.
Lean Change Management kann durch dieses Vorgehen also eine deutlich höhere Akzeptanz des Wandels bei gleichzeitig höherer Zielerreichung bewirken. Dabei kann der Wandel ein Vehikel zur Agilisierung der öffentlichen Verwaltung in einer sich radikal verändernden VUCA-Welt sein.
Eine Symbiose aus Agilität und Organisationswandel
Aber was sind nun die entscheidenden Vorteile des Lean-Change-Zyklus für Vorhaben in der öffentlichen Verwaltung? Ein experimenteller Ansatz, der auf kurzfristige Änderungen zu reagieren vermag, verspricht erfolgsorientiertes Change Management in einer komplexen Zeit. Durch viele kleine Schritte wird das Risiko im Gegensatz zu einem singulären gewaltigen Sprung deutlich minimiert:
Kurz und Prägnant – fünf Vorteile des Lean-Change-Zyklus:
1. Höhere und konstante Betroffenenorientierung
Die gesamte Organisation mitsamt ihrer Umgebungseffekte wird in den Fokus gerückt. Insbesondere die Betroffenen der angedachten Change-Maßnahme werden genau unter die Lupe genommen. Hierbei führt jegliches Feedback zur Annäherung an das bestmögliche Ziel für den gesteuerten Wandel. Auch – und gerade – Widerstand wird als qualitative Resonanz gewertet und führt inklusive der weiteren Erkenntnisse zum Lerneffekt für den Change.
2. Schnellere Generierung von Erkenntnissen
Das im Prozess gewonnene Feedback führt zur kontinuierlichen Einbettung in die Reorientierung des Change-Ziels. Es können auf Basis des Betroffenenfeedbacks somit fortwährend Change-Korrekturen durchgeführt werden, die den Change dazu befähigen ein tatsächlich tragfähiges Ergebnis zu erzielen; auch wenn dieses vom initial erwarteten Ergebnis abweicht.
3. Dynamische Reaktion auf Änderungen
Sensibel auf Veränderungen im Projektumfeld zu reagieren ist ein strukturimmanenter Bestandteil dieser Methodik. Änderungen werden hier gesteuert, anstatt bekämpft zu werden: Sie sind ein begrüßenswerter Teil des Prozesses, der das Ergebnis sukzessive am tatsächlichen Soll-Prozess ausrichtet. Dieser Prozess findet sich in den mehreren dynamischen Zyklen innerhalb des Gesamt-Changes wieder. Im Rahmen dieser Zyklen lassen sich adäquate Strategien für frische Änderungen designen und verproben.
4. Einfluss auf die Organisationskultur
Führung, Zusammenarbeit und Fehlerkultur: Durch einen agilisierten Change-Ansatz bewegt sich auch die Organisation hin zu einer agilen Aufstellung. Dies kann erfolgreich gesteuerter Bestandteil einer modernen Struktur sein und der Ausrichtung am Habitus junger Generationen Rechnung tragen.
5. Betroffenenakzeptanz
Der Lean-Change-Zyklus schafft Akzeptanz bei Betroffenen, denn komplexe Changes tangieren zumeist ebenso verschiedene Persönlichkeiten in unterschiedlichen Unternehmen. Standardtools versprechen hier wenig individuelle Passgenauigkeit der Maßnahmen und eine unzulängliche Einbindung der Betroffenen. Präferabel ist also ein betroffenenorientiertes Rahmenwerk – der Lean-Change-Zyklus – anstatt Standardlösungen aus dem klassischen Change-Repertoire überzustülpen.
Der Lean-Change-Zyklus im Praxistest
Es wäre zynisch anzunehmen, der Lean-Change-Zyklus löse alle Herausforderungen des Wandels innerhalb der Bundes-Vorhaben. Und dennoch kann er einen großen Teil dazu beitragen, das agile Mindset in der öffentlichen Verwaltung zu schärfen – und dies qua seiner simplen partizipativen Wirkungsweise. Es empfiehlt sich daher, den Zyklus mit kleineren Vorhaben zu verproben, um so erste Multiplikatoren zu gewinnen. Schrittweise ließen sich dann die Anwendungsfälle erweitern, denn der Lean-Change-Zyklus skaliert mit der Anzahl seiner Befürworter.
Ein Impuls: Stellen Sie sich vor, Sie möchten eine Transition aus einem IT-Projekt in den Produktivbetrieb vorbereiten und dies mit Hilfe einer Pflegeorganisation begleiten. Es geht also darum, Aufgaben aus dem Projekt in diese Organisation zu übergeben.
- Über die Einsichten erlangen Sie und die zukünftigen Beteiligten eines jeden Zyklus neue Annahmen oder Ideen darüber, welche Aufgaben bislang im Projekt wahrgenommen worden sind, was bisher funktioniert hat und was langfristig in der Pflegeorganisation zu optimieren wäre. Hierfür bietet sich z.B. das Lean-Coffee-Meeting an, deren Agenda die Teilnehmer ad hoc definieren. Ein Dialogformat also, das Dringlichkeit erzeugt und Ergebnisorientierung fokussiert.
- Auf Basis dieser Einsichten werden mehrere Optionen entwickelt. Diese stellen dar, wie die Aufgaben zukünftig operativ wahrgenommen werden könnten. Im Anschluss werden diese Möglichkeiten nach Nutzen und Risiko bezüglich Aufwands klassifiziert und ggf. mit einem zuvor erstellten Change Canvas abgeglichen. Leitfrage hierbei kann sein: Harmonieren die Optionen mit der Vision und dem Selbstverständnis?
- Anschließend wird eine Option ausgewählt und als Experiment umgesetzt. Zum Experiment existiert ein Sub-Zyklus:
- Vorbereitung: Die gewählte Option wird zu einem Experiment aufgebaut. Dazu wird die Option in Aufgaben zerlegt und Messgrößen werden definiert, anhand derer Fortschritt und Erfolg gemessen werden.
- Durchführung: Jetzt fängt es an Spaß zu machen! Das Experiment wird durchgeführt: Das bedeutet, die eigentliche Veränderung findet nun statt, indem die Aufgaben durch die zukünftigen Beteiligten operativ ausgeführt werden. o Dies kann zum Beispiel ein 1st-Level-Support für eine etwaige Teilanwendung sein.
- Überprüfung: Anhand der definierten Messgrößen werden Fortschritt und Erfolg der Veränderung gemessen und aus den Ergebnissen neue Einsichten gewonnen. Mit diesen Einsichten beginnt der Lean-Change-Zyklus von vorne.
Und mal ganz nebenbei: Veränderungsvorhaben scheitern vor allem dann, wenn es versäumt wird, die Betroffenen in die Gestaltung einzubinden und dadurch Widerstände entstehen. Kein Projekt verbrennt besser Budget - als ein gescheitertes.
Schon die Fehlerkultur des Lean Managements lehrt: Je eher Fehler gefunden, identifiziert und gelöst werden, desto weniger Kosten verursachen sie in der langfristigen Betrachtung:
Die erste Runde drehen
Wir sind davon überzeugt, dass der Lean-Change-Zyklus die ideale Vorgehensweise ist, um großen Transformationsvorhaben adäquat zu begegnen. Was braucht es also, um diesen agilen Weg des Wandels erfolgreich in der öffentlichen Verwaltung zu verproben?
1. Seien Sie mutig. Wenden Sie agile Methoden einfach mal an, forcieren Sie ihre Umsetzung, implementieren Sie so den Lean-Change-Zyklus machen ihn innerhalb Ihrer Organisation erlebbar (Ein weiterer Artikel zu Mut bei der Agilisierung der öffentlichen Verwaltung). Das Loslaufen muss gewagt werden, die Vorbereitungszeiten dabei so klein wie möglich gehalten werden. Hierdurch werden auch Short Wins generiert, die als Best-Practices zur weiteren Einführung der Methodik etabliert werden können.
2. Beziehen Sie Ihr Personal ein. Erhöhen Sie die Anzahl interner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Veränderungsmaßnahmen. Erleben und gestalten Sie den Wandel gemeinsam mit Beratern und anderen Experten, anstatt sich von diesen gestalten zu lassen. Die Transformation muss intern erlebbar gemacht werden und Teil der Organisations-DNA werden, sofern nachhaltiger Erfolg sichergestellt werden soll.
3. Schaffen Sie einen Rahmen der Optionen. Seien es legislative Hürden, organisationale Strukturen oder schlicht das Mindset einer Einheit; dies alles sind unnötig gesetzte Grenzen für Ihre Transformationsvorhaben. Bauen Sie bestehende Restriktionen für innovatives Veränderungsmanagement weitestgehend ab und:
Versuchen wir es doch einfach mal!
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