Online Marktplätze. ECommerce
E-Commerce Strategie 2.0

Integration von Online Marktplätzen als Vertriebskanal. Relevanz und Einordnung für B2B und B2C Geschäftsmodelle.

Das Jahr 2020 wird aufgrund zweier Sachverhalte in die Wirtschaftsgeschichte eingehen: Zum einen als der Beginn der Corona Pandemie und deren z. T. katastrophalen Auswirkung auf das Wirtschaftsleben und zum anderen durch den sehr starken Wachstumsimpuls für den E-Commerce.

Entwicklung des E-Commerce in den letzten Jahren

Rund 20 % betrug das jährliche Wachstum im weltweiten B2C E-Commerce im Schnitt in den Jahren 2014-2019 (DE +11 %), 2020 lag dieses mit 28 % (DE +15 %) deutlich höher. (1)

In Deutschland haben von diesem „Corona Wachstums-Impuls" insbesondere die „Internet Pure Player“ wie z. B. Amazon (ohne Drittanbieter via Marktplatz) oder ao.de sowie die Online-Marktplätze (+ 20%) wie z. B. ebay profitiert. (2) Laut bevh (Bundesverband E-Commerce und Versandhandel) wurde 2020 fast jeder zweite Euro im E-Commerce auf Online Marktplätzen und Plattformen umgesetzt. Hinter dem mit >20 % besonders ausgeprägten Wachstum dieser Kategorie verbergen sich unter anderem auch stationäre Händler, die die Marktplatz-Infrastruktur genutzt haben, um erstmalig im E-Commerce aktiv zu werden. (3)

Für den B2B-Bereich fehlt es für 2020 noch an belastbaren Daten; diverse Umfragen und erste Analysen zeigen jedoch, dass der E-Commerce in diesem Segment ebenfalls einen deutlichen Schub bekommen hat. (4) Nicht zuletzt das stetige Wachstum von Amazon Business kann als Indikation für diese Entwicklung herangezogen werden.

Diese Rahmenbedingen haben dem Thema Vertriebswege im E-Commerce auch im Mittelstand zu einer gesteigerten Bedeutung in der Distributionspolitik verholfen: Der ursprüngliche – bereits zu Beginn der 2000er Jahre – diskutierte Ansatz, den Aufbau einer direkten Verbindung zwischen Hersteller und Konsumenten, gewinnt immer weiter an Bedeutung. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei nicht um einen reinen Pandemieeffekt handelt, denn ein Großteil der Kunden, egal ob Unternehmen (B2B) oder Konsument (B2C), gibt in Umfragen an, am neuen Einkaufsverhalten festhalten zu wollen.

Vorteile und Herausforderungen eines direkten Vertriebskanals

Die Vorteile eines direkten Vertriebskanals in Richtung Kunde für die Anbieter liegen dabei auf der Hand:

  • eine bessere Margensituation durch das Ausschalten von Zwischenstufen
  • der direkte Kundenkontakt und damit ein Mehr an Informationen für die Produkt- bzw. Serviceweiterentwicklung
  • eine geringere Abhängigkeit von (Handels-)Partnern
  • die Möglichkeit, sich über weitere Services und Kundenerfahrungen von der Konkurrenz abzusetzen.

Dem Gegenüber stehen eine Reihe von Herausforderungen:

  • Strategisch: Nach zum Teil jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit Handels- bzw. Großhandelspartnern entsteht eine Konkurrenzsituation.
  • Steuerung: Die komplexere Distributionsstruktur erfordert eine Aussteuerung der Vertriebs-, Preis- und Marketingmaßnahmen je Kanal und eine engmaschige Überwachung.
  • Marketing & User Experience: Die Identifizierung und Erreichung der richtigen Zielgruppen und die Sicherstellung einer besseren User Experience im Vergleich zu anderen Kanälen ist erforderlich.
  • Operativ: Die Änderungen im Bereich Vermarktung, Logistik und kommerzieller Abwicklung erfordert die Anpassung der Prozess- und ggf. Systemlandschaft.

Auch mittelständischen Unternehmen stehen eine Reihe unterschiedlicher Optionen für direkte E-Commerce Verkaufskanäle zur Verfügung, die sich je nach Art der Geschäftsbeziehung unterscheiden. Grundsätzlich lassen sich vier Typen unterscheiden:  

Vorteile von Online Marktplätzen

Dabei ist die Entscheidung für eine oder mehrere der oben genannten Optionen von einer Reihe von Faktoren abhängig. Diese sind insbesondere die jeweilige Kundengruppe, Branche, Wettbewerbsbedingungen aber auch Investitionsbereitschaft und vorhandenes digitales Know-how. Dabei sind zum Beispiel (EDI-)Direktanbindungen für Geschäftsbeziehungen mit großen und regelmäßigen Transaktionsvolumina trotz der damit verbundenen Aufwände für die Anbindung (IT-Security, Systemanbindung) sinnvoll. Für Anbieter mit einer heterogenen Kundenstruktur mit vielen volumenmäßig kleineren Transaktionen keine darstellbare Option.

Wie Eingangs beschrieben, entfällt inzwischen sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich der größte Teil des E-Commerce-Wachstums auf Online Marktplätze. Die Entwicklung ist insbesondere mit den Vorteilen von Marktplätzen für den Kunden gegenüber dem Kauf beim einzelnen Anbieter zu erklären. Diese sind insbesondere:

  • das große Sortiment (sei es breiter und/oder tiefer)
  • eine Quelle für alle Waren
  • Verfügbarkeit mehrerer Anbieter mit der entsprechenden Portfolio- und Preistransparenz
  • „gelernte Prozesse“ (ein Kundenkonto, gewohnter Check-out Prozess, eine Rechnung etc.)
  • Kundenzentrierung als oberste Maxime, was zu einer größeren Convenience führt (z. B. einfache Bedienbarkeit, kürzere Lieferzeiten, sehr guter Kundenservice, flexible Retourenregelung)

Durch dieses Wachstum ist eine umfangreiche Landschaft im Bereich der E-Commerce Marktplätze entstanden, deren wesentliche Merkmale sich wie folgt kategorisieren lassen:

  • Zielkunden: B2B / B2C / C2C
  • Angebot: Produkte / Dienstleistungen
  • Sortiment: Sortimentstiefe / Sortimentsbreite  
  • Sortimentsausrichtung: Spezialisten / Generalisten    
  • Zugang: Offene / Geschlossene Marktplätze

In Summe sind allein in Deutschland rund 100 B2B und über 200 B2C-Marktplätze mit signifikantem Umsatzvolumen tätig. Dabei sind Amazon, ebay, Zalando und Otto im B2C-Bereich die bekanntesten. Im B2B finden sich neben den Schwergewichten Amazon Business und Alibaba auch zahlreiche Nischen- und Spezialanbieter, wie bspw. Wucato (Handwerkerbedarf) oder XOM (Stahlhandel).  

Die oben beschriebenen Entwicklungen machen deutlich, dass die Betrachtung von Marktplätzen im Rahmen der digitalen Vertriebsstrategie zwingend erforderlich ist.
Aus Unternehmenssicht sind dabei eine Reihe von Faktoren bei der Bewertung der Nutzung von Online Marktplätzen zu berücksichtigen. Die Vorteile sind dabei offensichtlicher als die Nachteile bzw. Risiken.

Für den Absatz über Marktplätze im Vergleich zum eigenen Onlineshop spricht dabei insbesondere:

  • die Investitionen in Technologie sind deutlich geringer (z. B. kein Shop-System erforderlich)
  • Online Marktplätze verfügen über etablierte Marken und haben entsprechende Reichweite & Kundenzugang
  • die Marketingkosten je Order (CPO) sind im Vergleich zur Akquise über bspw. Google günstiger
  • die Verwaltungskosten je Transaktion sind aufgrund der Bündelung i.d.R. geringer
  • etablierten Prozesse erhöhen die Convenience für den Kunden
  • Barrieren für den Zugang zu neuen Märkten (z. B. Internationalisierung) sind niedriger
  • es gibt keine externen Beschränkungen hinsichtlich der Skalierbarkeit: werden die Produkte eines Anbieters gut angenommen, kann jede abbildbare Transaktionszahl über die Marktplätze abgewickelt werden.  

Nachteile von Online Marktplätzen

Diesen Vorteilen steht eine Reihe von Aspekten entgegen:

  • der Rohertrag ist gegenüber einem eigenen Shop deutlich schlechter (Provisionen plus Werbekostenzuschüsse und andere Gebühren der Betreiber von 15-20 % sind keine Seltenheit).
  • die Abhängigkeit von Marktplatzbetreibern kann bei Änderungen in deren Systemen oder bei Sperrung des Verkäufer-Accounts – sei er berechtigt oder unberechtigt – zu ernsthaften Problemen führen
  • die potenzielle Wettbewerbssituation, zum Teil mit dem Marktplatzbetreiber, und mit den eigenen Händlern
  • deutlich eingeschränkte Möglichkeiten zur Markenpräsentation (je nach Marktplatz)
  • standardisierte Produktdarstellungsparameter schränken die Darstellung komplexer Produktinformationen und Sachverhalte ein
  • durch die Vergleichbarkeit auf dem Marktplatz werden Transparenz und damit der Preiswettbewerb verstärkt 
  • Möglichkeiten der Differenzierung im Bereich Service sind eingeschränkt
  • die Prozesse im eigenen Unternehmen müssen, denen der Marktplätze angepasst werden und verursachen je nach Diskrepanz einen erheblichen zusätzlichen Aufwand. Bei häufigen Problemen und langsamen Reaktionszeiten drohen, je nach Marktplatz, teils drakonische Strafen in Form von Strafzahlungen und im schlimmsten Fall sogar Sperrung der Anbieter-Accounts. 

Fazit

Aufgrund der Komplexität der Fragestellung und der Vielzahl der Entscheidungsparameter geht es bei der Bewertung der Marktplatzstrategie in der Regel nicht um eine einfache „Ja / Nein“-Entscheidung hinsichtlich der Nutzung des Vertriebsweges. Denn es ist zwischen der Nutzung mehrerer Online Kanäle und auch mehrere Marktplätze zu entscheiden, gegebenenfalls je Absatzmarkt.

Die Erarbeitung der entsprechenden Strategie und Umsetzungsplanung für die Integration von Online Marktplätzen in die Vertriebsstrategie muss daher unter Einbeziehung diverser Fachabteilungen und unter Beachtung der spezifischen Unternehmensziele und -situation erfolgen.

Artikel von
Linda Friederich, Cassini Consulting
Linda Friederich
Management Consultant
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